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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schenkel
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Versucht seinen
Atem, der stoßweise aus ihm herausbricht, unter Kontrolle zu
halten, anzuhalten. Die Augen geschlossen, liegt er da. Doch der
Rasende unter ihm hört ihn nicht. Blind für alles in
seinem Rausch, schlägt dieser zu, immer und immer
wieder.
    Wie lange er da liegt, Mich
weiß es nicht. Einer nach dem anderen läuft derweil
unter ihm dem Schlächter in die Hände. Zuerst der
Danner, dann noch seine Enkeltochter. Alle laufen sie vom
Licht ins Dunkel, noch ehe sie die Gefahr bemerken,
auch nur erahnen, werden sie bereits
niedergeschlagen.
    Während sie schon am Boden
liegen, lässt der Mörder nicht von seinen Opfern ab,
wütet, rast.
    Auf dem Rücken liegend, muss
Mich die Tat nicht mit eigenen Augen sehen. Er hört
nur, hört die Schritte der Opfer, ihr Rufen nach den
Angehörigen, der Mutter.
    Hört die Schläge mit der
Hacke, immer wieder diese Schläge.
    Nach einer Ewigkeit tritt Stille
ein. Totenstille. Erst nach einer weiteren Unendlichkeit bemerkt
Mich die Stille. Er robbt langsam, fast lautlos auf dem Bauch
Richtung Stiege.
    Unter ihm der Stadel ist leer. Der
Täter muss durch den Stall weiter ins Wohnhaus eingedrungen
sein. Mich hat nur diese eine einzige Möglichkeit, ungesehen
und mit dem Leben davonzukommen. Er holt Luft und läuft die
Stiege hinab. Die Stiege, hinaus ins Freie.
    Atemlos rennt er, rennt immer
weiter. Seine Beine tragen ihn schon fast nicht mehr. Die kalte
Nachtluft brennt in seinen Lungen. Bei jedem Atemzug brennt sie. Er
rennt, bis er stürzt, auf dem nackten Boden liegen bleibt.
Keuchend. Die Dunkelheit hat ihn umfangen. Er weiß nicht, wo
er ist. Er hat die Orientierung verloren. Aus dem Haus ist er
fortgelaufen, in wilder Panik. Immer weiter weg von dem Haus, dem
Hof, dem Grauen.
    Mit dem Gesicht zum Fenster sitzt
er da. Der Blick leer in die Ferne gerichtet. So sitzt er auf
seinem Bett in seinem Schlafzimmer, sieht ohne wahrzunehmen, den
Blick nach innen, nicht nach außen gerichtet. In seinem
Rücken das Bett seiner Frau. Seit ihrem Tod vor drei Jahren
ist es mit einem Leintuch zugedeckt. Er muss es nicht sehen und
sieht es doch ständig. Einer Totenbahre gleich steht es im
Raum. Mahnend. Tagaus, tagein. Er kann sogar den Geruch des Todes
noch wahrnehmen. Süßlich zieht er immer noch seine
Bahnen, in hauchfeinen Schwaden gleitet er durch den Raum. Seine
Frau ist allgegenwärtig in diesem Raum. Übermächtig
wie ihr nicht enden wollendes Siechen. Vor sich sieht er die Bilder
des Nachmittags, sein Gespräch mit Anna, seiner
Schwägerin. So deutlich und klar steht sie vor ihm, wie sie
vor zwei Stunden vor ihm gestanden ist. In den Stall zu ihm hinaus
war sie gegangen. Mit ihm sprechen wollte sie, musste sie. In ihrem
Gesicht Ungläubigkeit und Trauer. Gemeinsam sind sie zur Bank
hinter dem Haus gegangen. Von dort kann man im Frühjahr den
ganzen Obstgarten überblicken. Sieht die Bäume in voller
Blüte. Sieht das Land sich selbst wieder gebären. Er
liebt diesen Anblick, jedes Jahr freut er sich darauf. Doch heute
waren die Äste der Bäume noch kahl und tot vom
vergangenen Winter. Neben ihn hat sie sich gesetzt. Stumm
saßen sie da. In ihren Händen hatte sie ein Stück
Stoff gehalten. Erst jetzt sah er es, erkannte er es. Ein Tuch rot
vom Blut. Sein Tuch. Das Tuch, an dem er sich die Hände
abgewischt hatte. Die Schuld, die er auf sich geladen hatte, hatte
er mit dem Tuch von seinen Händen wischen wollen, aber es
klebte immer noch an ihm. Wegwerfen hat er das Tuch wollen, aber
wohin hätte er es werfen sollen. So hat er es wider besseres
Wissen, wider alle Vernunft behalten. Vielleicht, so geht es ihm
durch den Kopf, hat er es nicht weggeworfen, damit sie es findet,
damit er einem Menschen von seiner Schuld beichten konnte. Nicht
alleine sein wollte er, nicht alleine mit seiner Tat. Anna hat
ihren Arm um ihn gelegt und nur gefragt: »Warum?«
»Warum?«
    Warum er in jener Nacht auf den
Hof gegangen ist? Er konnte es ihr nicht sagen. Er weiß es
selbst nicht. Sprechen wollte er mit der Barbara. Nur sprechen. An
ihr Fenster hatte er sich nicht zu klopfen getraut. Zu oft hatte er
bereits an ihr Fenster geklopft und sie hatte ihm nicht
geöffnet, nicht mit ihm gesprochen. Dabei war er doch
abhängig gewesen von jedem Wort, jeder Geste von
ihr.
    Ja, abhängig war er ihr,
hörig. Unzählige Male ist er ums Haus geschlichen bei Tag
und Nacht, nur sehen wollte er sie. Vor ihrem Fenster ist er
gestanden. Zugesehen hat er, wie sie sich ausgezogen hat. So nah
und doch

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