Tannöd
Prolog
Den ersten Sommer nach Kriegsende
verbrachte ich bei entfernten Verwandten auf dem Land. In jenen
Wochen erschien mir dieses Dorf als eine Insel des Friedens. Einer
der letzten heil gebliebenen Orte nach dem großen Sturm, den
wir soeben überstanden hatten.
Jahre später, das Leben hatte
sich wieder normalisiert und jener Sommer war nur noch eine
glückliche Erinnerung, las ich von eben jenem Dorf in der
Zeitung. Mein Dorf war zum »Morddorf« geworden und die
Tat ließ mir keine Ruhe mehr.
Mit gemischten Gefühlen bin
ich in das Dorf gefahren. Die, die ich dort traf, wollten mir von
dem Verbrechen erzählen. Reden mit einem Fremden und doch
Vertrauten. Einem der nicht blieb, der zuhören und wieder
gehen würde.
Herr, erbarme Dich unser!
Christus, erbarme Dich unser! Herr, erbarme Dich unser!
Christus, höre uns!
Christus, erhöre uns!
Gott Vater vom Himmel, erbarme Dich ihrer!
Gott Sohn, Erlöser der Welt, erbarme Dich ihrer!
Gott Heiliger Geist, erbarme Dich ihrer!
Heilige Dreifaltigkeit, ein einiger Gott,
erbarme Dich ihrer!
Heilige Maria, bitte für
sie!
Heilige Gottesgebärerin, bitte für sie!
Heilige Jungfrau aller Jungfrauen,
bitte für sie!
Heiliger Michael,
bitte für sie!
Alle heiligen Engel und Erzengel,
Alle heiligen Chöre der seligen Geister,
Heiliger Johannes der Täufer,
bittet für sie!
Heiliger Josef,
bitte für sie!
Alle heiligen Patriarchen und
Propheten,
Heiliger Petrus,
Heiliger Paulus,
Heiliger Johannes,
bittet für sie!
Alle heiligen Apostel und
Evangelisten,
Heiliger Stefanus,
Heiliger Laurentius,
bittet für sie!
Alle heiligen
Märtyrer,
Heiliger Gregorius,
Heiliger Ambrosius,
bittet für sie!
Heiliger Hieronymus,
Heiliger Augustinus,
bittet für sie!
Alle heiligen Bischöfe und
Bekenner,
Alle heiligen Kirchenlehrer,
Alle heiligen Priester und Leviten,
Alle heiligen Mönche und Einsiedler,
bittet für sie!
Am frühen Morgen, vor
Tagesanbruch, betritt er den Raum. Mit dem Holz, das er von
draußen hereingebracht hat, heizt er den großen Herd in
der Küche an, befüllt den Dämpfer mit Kartoffeln und
Wasser, stellt den gefüllten Kartoffeldämpfer auf die
Herdplatte.
Von der Küche aus geht er,
den langen fensterlosen Gang entlang, hinüber in den Stall.
Die Kühe müssen zweimal am Tag gefüttert und
gemolken werden. Sie stehen in einer Reihe. Eine neben der anderen.
Er spricht mit gedämpfter Stimme auf sie ein. Er hat es sich
zur Gewohnheit gemacht, während der Arbeit im Stall immer mit
den Tieren zu sprechen. Vom Klang seiner Stimme scheint eine
beruhigende Wirkung auf die Tiere auszugehen. Ihre Unruhe scheint
durch den monotonen Singsang der Stimme, durch die
Gleichförmigkeit der Worte zu schwinden. Der ruhige,
einförmige Klang löst ihre Spannung. Er kennt diese
Arbeit schon sein ganzes Leben. Sie macht ihm Freude. Er streut
neues Stroh auf die alte Unterlage auf. Das Stroh dafür holt
er aus dem angrenzenden Stadel. Es verbreitet im Stall einen
angenehmen, vertrauten Geruch. Kühe riechen anders als
Schweine. Ihr Geruch hat nichts Aufdringliches, nichts Scharfes an
sich. Danach holt er das Heu. Er holt es auch aus dem
Stadel.
Die Verbindungstür zwischen
Stadel und Stall lässt er offen.
Während die Tiere fressen,
melkt er sie. Davor ist ihm etwas bange. Die Tiere sind es nicht
gewöhnt, von ihm gemolken zu werden. Doch seine
Befürchtungen, dass das eine oder andere Tier sich nicht von
ihm melken lassen würde, waren umsonst gewesen. Die garen
Kartoffeln riechen bis hinüber in den Stall. Es ist Zeit, die
Schweine zu füttern. Er schüttet die Erdäpfel aus
dem Dämpfer direkt in einen Eimer, dort werden sie gequetscht,
bevor er sie zu den Schweinen in den Schweinestall
bringt.
Die Schweine quieken, als er die
Tür zu ihrem Verschlag öffnet. Er schüttet den
Inhalt des Eimers in den Trog, dazu noch etwas Wasser.
Er hat seine Arbeit erledigt.
Bevor er das Haus verlässt, achtet er darauf, dass das Feuer
im Herd erloschen ist. Die Tür zwischen Stadel und Stall
lässt er offen. Den Inhalt der Milchkanne schüttet er auf
den Mist. Die Kanne stellt er wieder an ihren alten Platz
zurück.
Betty, 8
Jahre
Die Marianne und ich sitzen in der
Schule nebeneinander. Sie ist meine beste Freundin. Deshalb sitzen
wir ja auch beieinander.
Die Marianne mag die Rohrnudeln
meiner Mama immer besonders gern. Wenn meine Mama welche macht,
bringe ich ihr immer eine mit, in die Schule oder am Sonntag auch
mit in die Kirche. Am letzten Sonntag habe ich
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