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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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Flotte.
    »Manchmal spielt man den Spieler, nicht das Spiel«, sagte Schenja.
    »Soll heißen?«
    »Ich kann einige dieser Spieler vor mir sehen. Da ist zuerst der Dolmetscher. Er ist entspannt, selbstsicher, schreibt ›bla bla‹ für die Formalitäten. Tut vielleicht ein bisschen überlegen. Dann sind da die anderen, vor allem der erste Mann mit Hut. Als Erstes erzählt er ihnen, sie wären alle gleich. Jeder bekäme angemessenes Gehör. Klassische Umgangsform aus der Sowjetzeit. Er eröffnet das Treffen und schließt es. Man kann ihn nicht mit den anderen Spielern verwechseln. Unter ihm ist ein Strich, wie die Litze eines Admirals. Der zweite Mann mit Hut, der ohne Strich drunter, ist der Vollstrecker. Er trägt die Messer. Aus diesen kleinen Details können wir viel erfahren.«
    »Dabei fällt mir was ein«, sagte Lotte.
    »Was?«
    »Ich war bei einem Turnier in Warschau, spielte gegen ein chinesisches Mädchen. Erstaunlich, wie viele gute Spieler von dort kommen.«
    »Und?«
    »Ihr Name stand auf einer Plakette mit einem Kastendrachensymbol. Das Symbol für China.«
    »Ach.« Nüchtern betrachtet war Lotte, während er in Bahnhöfen Leute beim Schach abzockte, also zu internationalen Schachturnieren gereist. »Das ist ein ziemlich wichtiges Detail. Wie hast du abgeschnitten?«
    »Zweiter Platz.«
    »Toll. Kannst du dich an noch was erinnern?«
    »Einer der Sponsoren des Turniers war eine chinesische Bank, die Rote-Dämmerungs-Bank aus Schanghai.«
    »Nicht Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang?«
    »Nein, in China ist die Dämmerung immer rot.«
    »Vielleicht wegen der starken Luftverschmutzung. Also machen wir Fortschritte. Was meinst du, wofür Natalja Gontscharowa steht?«
    »Für Schönheit«, sagte Lotte.
    »Oder Ehebruch.« Er breitete die Karteikarten aus. »Lässt sich alles frei interpretieren. Zum Beispiel: › Infolge eines chinesischen Spionagerings versenkte oder beschädigte ein Torpedo ein Atom-U-Boot und ließ die Opfer in einem riesigen Ölteppich zurück, wofür sich der russische Verteidigungsminister den Leninorden verlieh. ‹«
    »Oder?«, fragte Lotte.
    Schenja ordnete die Karten neu. »Der große russische Dichter Puschkin und seine treulose Frau Natalja segelten an der chinesischen Küste entlang, als sie durch einen Wespenstich zu Tode kam. Die Musik bei ihrer Beerdigung rührte zu Tränen. Nach der Feier wurden Fische und Feigen kredenzt.«
    Sie umrundeten die Parks und die von Laternen erleuchteten Wege im Stadtzentrum, ohne dass Arkadi einen Sinn darin erkennen konnte. Um dem Monster zu entfliehen? Um einen Touristen zu beeindrucken?
    »Hier liegt die Zukunft«, sagte Maxim. »Das sogenannte Fischerdorf, eine Nachbildung des alten Königsberg.«
    »Sieht aus wie ein Themenpark.«
    »Die Zukunft wird ein Themenpark sein.«
    Die Fachwerkhäuser und der Leuchtturm waren eine Tarnung für teure Läden und Wohnungen der Oberschicht. Wo waren die geschäftigen Fischhändler, die Fässer voller Heringe, die zum Trocknen aufgehängten Netze und deren Glitzern, wie ein strahlender Behang aus silbrigen Schuppen? Nicht mal ein einziger echter Fischkutter, bloß zwei Jollen, um den Schein zu wahren, und nur eine davon mit einem Außenbordmotor.
    »Um das Bild zu vervollständigen, nehmen ein Freund und ich manchmal eines der Boote und angeln Barsche. Ist sehr entspannend.«
    »Ist Tatjana mitgefahren?«
    »Tatjana? Nein. Sie hat sich nie entspannt. Sie wusste, dass sie in Gefahr war, sobald sie aus der Tür trat. Selbst in ihrer eigenen Heimatstadt. Aber sie hieß die Gefahr willkommen. Ihr Leben war ein Tanz mit der Gefahr. Nur Kaliningrad hätte eine Frau wie sie hervorbringen können. Sie hat mir mal erzählt, dass sie ein kurzes Leben vorziehen würde, einen Spurt über den Himmel.«
    »Einen Tanz oder einen Spurt?«
    »Irgendwie beides, mein lieber Renko.«
    »Solange sie ihren Hund mitnehmen konnte? Das hat mir Obolenski erzählt. Ein kleiner Mops, nicht wahr?«
    »Haben Sie ihn gesehen?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Wie hieß er doch gleich?«
    »Polo.«
    »Wann haben Sie Tatjana zum letzten Mal gesehen?«, fragte Arkadi.
    »Am Tag ihres Todes.«
    »Mittlerweile waren Sie über sie hinweg?«
    »Ich mochte sie immer noch. Wir haben einander respektiert, hatten jedoch die heiße Phase der Beziehung längst hinter uns gelassen.«
    »Sie hat sich Ihnen anvertraut?«
    »Bis zu einem gewissen Grad. Ich würde sagen, ihrer Schwester Ludmilla und Obolenski stand sie näher.«
    »Hat sie einen der

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