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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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zusammengehalten. Die einzigen neuen Gegenstände im Haus waren die Trinkgläser, »Leihgaben« aus dem Dickens, und das Sofa von Sears im Wohnzimmer, dessen Polsterung ein hypnotisierend scheußliches Motiv aus der Liberty-Bells-Ära zeigte, mit weißköpfigen Seeadlern und Gesichtern der Gründerväter. Wir nannten es das zweihundertjährige Sofa. Dazu fehlten zwar noch ein paar Jahre, aber Opa sagte, der Name sei richtig und passend, da es aussah, als hätte George Washington darin den Delaware überquert.
    Das Schlimmste am Leben in Opas Haus war der Krach, eine rund um die Uhr herrschende Geräuschkulisse aus Fluchen und Weinen und Streiten und Onkel Charlie, der blaffte, er wolle endlich schlafen, und Tante Ruth, die im nervtötenden Tonfall einer Möwe mit ihren sechs Kindern keifte. Knapp unter dieser Kakofonie hörte man ein stetes Schlagen, schwach zunächst, dann aber zunehmend lauter, je bewusster man es wahrnahm, wie der Herzschlag tief im Innern des Hauses Usher. Der Herzschlag kam von der Fliegengittertür, die durch das rege Kommen und Gehen in Opas Haus ständig auf und zu ging – quietsch-päng, quietsch-päng – und von dem seltsamen Klacken, mit dem alle in meiner Familie gingen, auf den Hacken, wie SA-Männer auf Stelzen. In der Dämmerung war man dann so weit, dass man zwischen dem Keifen und der quietschenden Tür, dem Streiten und den stampfenden Füßen mehr blaffte und zuckte als der Hund, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit abhaute. Doch die Dämmerung war das Crescendo, die lauteste und angespannteste Stunde des Tages, denn dann aßen wir zu Abend.
    Wir saßen um den schiefen Tisch und redeten alle gleichzeitig, um uns vom Essen abzulenken. Oma konnte nicht kochen, und da Opa ihr fast kein Geld für Lebensmittel gab, war alles, was in angeschlagenen Schüsseln aus der Küche kam, lebensgefährlich und lächerlich zugleich. Um – wie sie es nannte – »Spaghetti mit Hacksoße« zu machen, kochte sie eine Packung Nudeln zu einer pampigen Masse, versetzte sie mit einer Dose Campbell’s Tomatencremesuppe und krönte alles mit ein paar Brocken Hotdog-Wurst. Abgeschmeckt wurde mit Salz und Pfeffer. Was einem aber wirklich auf die Verdauung schlug, war Opa. Er, der ein Einzelgänger, ein Menschenfeind, ein stotternder Geizhals war, musste jeden Tag mit zwölf ungebetenen Gästen, wenn man den Hund mitzählte, am Tisch sitzen. Das Abendmahl, nachgestellt in einem schäbigen irischen Schuppen. Wenn er uns der Reihe nach ansah, konnten wir förmlich hören, was er dachte: Heute Abend hat mich jeder von euch verraten. Zu seiner Ehre muss gesagt werden, dass er nie jemanden fortjagte. Aber er vermittelte uns auch nie das Gefühl, willkommen zu sein, und wünschte sich oft laut, wir sollten uns alle »verpissen«.
    Meine Mutter und ich wären liebend gern gegangen, nur wussten wir nicht, wohin. Sie verdiente sehr wenig Geld, und von meinem Vater, der nichts von seiner Frau und seinem einzigen Sohn wissen wollte, bekam sie nichts. Mein Vater war ein schwieriger Fall, eine wankelmütige Mischung aus Charme und Wutausbrüchen, und meine Mutter hatte keine andere Wahl, als ihn zu verlassen, als ich sieben Monate alt war. Er rächte sich, indem er verschwand und ihr jegliche Hilfe versagte.
    Da ich noch so klein war, als mein Vater verschwand, wusste ich nicht, wie er aussah. Aber ich wusste, wie er sich anhörte, und das nur zu gut. Er war ein beliebter Rock’n’Roll-Discjockey, der jeden Tag irgendwo in New York in ein großes Mikrofon redete, und sein toller Bariton flog den Hudson River herunter, schipperte über die Manhasset Bay, surrte die Plandome Road hoch und platzte eine Millisekunde später aus dem olivgrünen Radio auf Opas Küchentisch. Die Stimme meines Vaters klang so tief und bedrohlich, dass meine Rippen vibrierten und meine Genitalien zitterten.
    Die Erwachsenen in Opas Haus wollten mich vor meinem Vater schützen, indem sie so taten, als gäbe es ihn nicht. (Oma mochte nicht mal seinen Namen aussprechen – Johnny Michaels – sie sagte immer nur die Stimme.) Sobald sie meinen Vater hörten, stürzten sie sich auf den Senderknopf, und manchmal versteckten sie das Radio ganz und gar, was ich mit weinendem Protest quittierte. Da ich von Frauen und zwei entrückten Männern umgeben war, sah ich die Stimme als meine einzige Verbindung zur männlichen Welt. Außerdem war sie das einzige Mittel, um die vielen anderen verhassten Stimmen in Opas Haus zu übertönen. Die Stimme, die

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