Terrorist
aussendet, da sie sowohl Blau, die Farbe der Rebellen, der afroamerikanischen Clique von Central High, als auch Rot meidet, die Farbe, mit der sich die Diabolos, die Hispano-Gang, zu erkennen geben, und sei es auch nur an einem Gürtel oder Stirnband. Ebensowenig lässt er Joryleen wissen, dass seine Mutter selten bügelt, da sie Schwesternhelferin am Saint Francis Community Hospital und in ihrer verbleibenden Zeit Malerin ist und ihren Sohn in vierundzwanzig Stunden oft kaum eine Stunde sieht. Seine Hemden kommen, auf Pappe gefaltet, aus der Reinigung zurück, deren Rechnungen er mit dem Geld bezahlt, das er bei Shop-a-Sec verdient, wo er an zwei Abenden in der Woche und am Wochenende, wenn die meisten Jungen seines Alters die Straßen unsicher machen, sowie an christlichen Feiertagen arbeitet. Dennoch, seine Kleidung verrät Eitelkeit, das weiß er, einen Stolz, der die Reinheit des Allumfassenden verletzt.
Er spürt, dass Joryleen nicht nur versucht, nett zu sein: Er weckt ihre Neugier. Sie möchte ihm nahe kommen, ihn besser beschnüffeln können, obwohl sie bereits einen Freund hat, der bekanntermaßen zu den «Schlimmen» gehört. Frauen sind Tiere, die sich leicht führen lassen, hat Scheich Rashid ihm warnend erklärt, und Ahmed sieht selbst, dass die High School und die weitere Welt voller Schnüffelschw…, voll blinder Herdentiere ist, die einander anrempeln auf ihrer Suche nach einem tröstlichen Geruch. Trost aber, sagt der Koran, gibt es nur für jene, die an das nie gesehene Paradies glauben und das Gebot, fünfmal am Tag zu beten, befolgen, das der Prophet von seiner nächtlichen Reise auf Buraqs breitem, leuchtend weißem Rücken auf die Erde mitgebracht hat.
Joryleen steht noch immer da, beharrlich, zu nah. Ihr Parfüm dringt Ahmed in die Nase; die Kluft zwischen ihren Brüsten beunruhigt ihn. Sie verlagert die schweren Bücher, die sie in den Armen hat. Auf dem Rücken des dicksten liest er, mit Kugelschreiber geschrieben, JORYLEEN GRANT . Ihr Mund, matt pink geschminkt, damit er schmaler wirkt, verblüfft ihn durch verlegenes Stammeln. «Eigentlich wollte ich dich ja fragen», bringt sie so zögernd hervor, dass er sich zu ihr hinunterbeugt, um sie besser zu verstehen, «ob du am Sonntag vielleicht in die Kirche kommen möchtest, um mich zu hören – ich singe da im Chor ein Solo.»
Er ist schockiert, abgestoßen. «Ich gehöre nicht deinem Glauben an», ruft er ihr nachdrücklich in Erinnerung.
Darauf reagiert sie locker und sorglos. «Ach, so ernst nehme ich das alles nicht», sagt sie. «Ich singe einfach gern.»
«Jetzt hast du mich doch traurig gemacht, Joryleen», sagt Ahmed. «Wenn du deine Religion nicht ernst nimmst, dann solltest du nicht in die Kirche gehen.» Er schlägt seine Spindtür mit einem Zorn zu, der vor allem ihm selbst gilt, weil er sie getadelt und abgewiesen hat, wo sie doch verwundbar geworden war, als sie die Einladung aussprach. Mit glühendem Gesicht wendet er sich verwirrt von seinem zugeknallten Spind ab, um sich den Schaden zu betrachten, den er angerichtet hat, und sie ist weg. Sorglos saust ihr ausgebleichtes, strassbesticktes Jeanshinterteil den Gang entlang.
Die Welt ist schwierig, denkt er, weil sich Teufel darin herumtreiben, alles durcheinander bringen und das Gerade krumm machen.
Als die High School im letzten Jahrhundert errichtet wurde, im zwanzigsten nach christlicher Zeitrechnung und im dreizehnten nach der Hegira des Propheten von Mekka nach Medina, ragte sie über der Stadt auf wie ein Schloss, wie ein Palast der Gelehrsamkeit für die Kinder von Fabrikarbeitern wie deren Vorgesetzten, geschmückt mit Säulen und Simsen und einem in Granit gemeißelten Motto: WISSEN IST FREIHEIT . Nun steht das Gebäude, reich an Narben und unausrottbarem Asbest, hart und glänzend vor Bleifarbe und mit Gittern vor seinen hohen Fenstern, am Rand eines breiten Sees von Schutt, der einst Teil einer von Straßenbahngeleisen geäderten Innenstadt war. Auf alten Fotografien schimmern die Geleise inmitten von Männern mit Strohhüten und Krawatten und kastenförmigen Automobilen, die alle die Farbe von Leichenwagen haben. So viele Kinomarkisen ragten damals über die Trottoirs und warben für rivalisierende Hollywood-Streifen, dass man in einem Regenschauer von einem Vordach zum nächsten flitzen konnte, ohne groß nass zu werden. Es gab sogar eine öffentliche Toilette, auf deren Scheiben in dezenten Lettern LADIES und GENTLEMEN geschrieben stand und die man von
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