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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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goldenes Licht gehüllt.
    Kaltenbach sah seine letzte Hoffnung entschwinden. Hier oben war der Andrang noch größer. Soweit er sehen konnte, standen und saßen Menschen in großen und kleinen Gruppen. Viele von ihnen hielten die Arme weit emporgereckt, um die Sonne zu grüßen. Andere hielten die Köpfe gebeugt und die Hände wie zum Gebet vor der Brust gekreuzt. Manche hatten die Augen geschlossen und wiegten ihre Oberkörper sanft hin und her wie zu einer unhörbaren Melodie.
    Um das Gipfelkreuz herum hatte sich ein Kreis von etwa 50 Menschen gebildet. Alle hatten sich an den Händen gefasst und einen Gesang angestimmt, der Kaltenbach in seiner eigenartigen Monotonie an einen gregorianischen Chor erinnerte. Ein Mann, etwa in seinem Alter, hatte seine nackte Haut mit Goldbronze bemalt und tanzte in wild-verzückten Sprüngen durch die Menge. Viele standen nur ruhig da und begrüßten den Tag.
    Ein paar Schritte abseits an der steiler abfallenden Nordflanke sah Kaltenbach eine Gruppe, in deren Mitte er Sutters ›Wächter‹ erkannte. Hastig stolperte er über den fest getretenen Schnee zu ihnen hinüber. Zu seiner Enttäuschung konnte er weder Luise noch Blaschke entdecken. Dafür waren etliche bekannte Gesichter vom Wochenende dabei. Der Oberstudienrat aus Offenburg machte ihn mit heftigen Gebärden darauf aufmerksam, dass er ihn erkannt hatte.
    Die Wächter waren eben dabei, sich mit Mistelzweigen in den Händen nach allen Himmelsrichtungen zu verbeugen. Zu ihren Füßen in der Mitte brannte ein kleines Feuer, von dem ein würziger Duft in einer dünnen Rauchfahne in den klaren Morgen aufstieg. Kaltenbach stellte sich resigniert und mit hängendem Kopf daneben. Selbst wenn Blaschke außerhalb des Rummels irgendwo unterhalb des Gipfels unter den Bäumen wäre, würde er ihn jetzt nicht mehr finden.
    Er war zu spät gekommen.
    Die Wächter beschlossen ihre Zeremonie mit der dreifachen Wiederholung eines Spruches, der von den Umstehenden jeweils im Echo bekräftigt wurde. Am Ende füllte eine der Frauen die Asche des niedergebrannten Feuers in eine große Flasche, verschloss sie sorgfältig und steckte sie zusammen mit den übrigen Utensilien in eine große Umhängetasche. Die Mistelzweige verteilten sie reihum unter die Teilnehmer.
    Auch Kaltenbach bekam einen kleinen Zweig. Die Wächterin verneigte sich. »Sie haben den Meister gerettet. Wir sind ihnen zum Dank verpflichtet.« Ihre Stimme klang eigenartig monoton.
    »Woher wissen Sie … « Kaltenbach war überrascht.
    »Wir haben ihn gestern Abend besucht. Er hat uns seinen Segen für den heutigen Morgen gegeben.«
    »Wo ist Balor? Ist er heute nicht dabei?« Für einen winzigen Moment keimte Hoffnung auf.
    »Der Meister hat es uns erzählt.« Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Er ist nicht mehr Balor.« Sie wandte sich ab und ging zum Nächsten weiter.
    Kaltenbach steckte den Mistelzweig in die Tasche. Er sah, dass er hier nichts mehr erreichen würde. Als er sich eben zum Gehen umwandte, fasste ihn der Oberstudienrat am Arm.
    »Welche Freude, Sie zu sehen!« König strahlte ihn an. »Ausgerechnet an diesem Tag!«
    Kaltenbach nickte müde.
    »Kommen Sie, ich lade Sie ein. Ich denke, wir beide können etwas zum Aufwärmen vertragen.«
    Kaltenbach war überhaupt nicht nach Konversation zumute. Am liebsten hätte er sich irgendwo verkrochen. Doch schon hatte König aus seinem Rucksack eine Thermoskanne hervorgezogen und einen Becher vollgeschenkt.
    »Hier«, sagte er und reichte Kaltenbach das dampfende Getränk. »Tag-und-Nachtgleiche-Tee. Herrlich ausgewogen zwischen Winter und Sommer. Nach Angaben von Sutter selbst gesammelt und zusammengemischt.«
    Kaltenbach nahm vorsichtig einen Schluck. Der Tee roch nach Krankenhaus und schmeckte auch so.
    »Ich habe leider nur einen Becher. Aber das macht nichts.« König war in Hochstimmung. Nachdem er ebenfalls einen Schluck genommen hatte, begann er einen Vortrag über die keltischen Jahresfeste im Allgemeinen und die Begabungen Sutters und der Wächter im Besonderen.
    Kaltenbach hörte kaum zu. Inmitten der bunt gekleideten fröhlich schnatternden Menschenschar kam er sich vor wie auf Böcklins Toteninsel, um sich herum ein Vorhang aus dumpfer grauer Watte. Ein unangenehmes Ziehen rumorte unterhalb seines Bauchnabels und fasste mit bleiernen Fingern nach seiner Brust. Sein Kopf antwortete mit einem stechenden Schmerz, der sich von der Schläfe her ausbreitete und sich wie ein Geschwür in seine wirren Gedanken fraß. Die

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