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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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gerade aus der Baracke gebracht, Friedländer, ein Trödler, der körperlich gesund und sogar kräftig geblieben war, kräftiger als alle anderen, und vielleicht aus diesem Grund nicht in eines der Vernichtungslager transportiert worden war, zusammen mit den übrigen Wahnsinnigen, mit den Todkranken, mit den Entkräfteten, mit den Aufsässigen und mit denen, die einfach Pech hatten. Er war noch vor Ankunft der Russen in der nun menschenleeren Baracke der Bewachungsmannschaftverschwunden und hatte dort alle zurückgelassenen Decken, abgelegte Waffenröcke, schlechte Stiefel und abgetrennte Rangabzeichen auf einzelne Haufen gelegt und sich dabei gleich neu eingekleidet. Strobl hatte ihm zugesehen, wohl ohne etwas zu sagen, vielleicht hatte er auch etwas gesagt, man konnte das nicht genau wissen, fest steht, dass sich Adalbert Friedländer in der Baracke verbarrikadiert hatte und, als die Russen in die Baracke kamen, hinter seinen Fetzen hockte, hinter seinem neuerworbenen Warenlager in seiner neuerworbenen Uniform, und von dort die Soldaten mit den schäbigsten, zum Verkauf ungeeigneten Schuhen, mit leeren Flaschen und mit Stühlen bewarf. Dann stand er vor der Baracke. Man band ihm die Arme auf dem Rücken zusammen. Er schrie. Der rosige Jüngling, der Strobls Hund erschossen hatte, berührte mit der Mündung der Maschinenpistole Friedländers Brust und trat dann vor dem waagrecht herausspringenden Blutstrahl zur Seite. Im selben Augenblick fuhr ein Lastwagen heran, mit Brot und Schweineschmalz beladen; der Schuß war kaum zu hören gewesen.
    Alsoder Bach und der Fisch und der Stein, und stillst deinen Hunger, hatte zu ihm Markus Löw gesagt, und war an Friedländers Leiche vorbei auf die Baracke zugegangen ohne Gruß, gestern mochte das gewesen sein, vorgestern vielleicht, und nun waren Bäume auf beiden Seiten der Straße, die nach Thennberg führte (über Umwege vielleicht, aber immerhin nach Thennberg), Bäume aus Stille, still gewachsen, stille Bäume, gewachsene Stille, die Worte rollten in seinem Schädel hin und her, hohle und kompakte, einmal voll und dann wieder hohl, Worte wie Seifenblasen und Worte wie Kugeln aus Blei; ein lichter Wald lag auf beiden Seiten der Straße, die bereits frei war von Schnee. In den Wagenspuren hatte sich Wasser gesammelt, zuerst Schmelzwasser und nachher das Wasser des Frühlingsregens; aus Wolken, die hergeweht worden waren aus fernen Ländern; alles war fern, die Ordnung der Chronologie im Gedächtnis war zusammengestürzt wie ein Kartenhaus unter einer einzigen leisen Berührung. Er wusste zum Beispiel nicht mehr mit völliger Sicherheit, ob Strobl seinen Hund an einer Kette oder an einer Leine geführt hatte, oder ob Adalbert Friedländer erst vor der Ankunft der Russen wahnsinnig geworden war oder bereits früher, auch konnte er sich an die Farbe der Augen Markus Löws nicht mehr erinnern, es schien ihm, Markus Löw habe die ganze Zeit hindurch dunkle Augen gehabt, aber am letzten Tag seien seine Augen plötzlich grau gewesen, graublau und wie ohne Leben, Augen aus Stein. Und auch der Weg, der nach Thennberg führte: Führte er wirklich nach Thennberg? Und in welches Thennberg? Da war einmal ein Brunnen gewesen, ein rostiger Eimer war an einer rostigen Kette gebaumelt, und das Rad hatte gequietscht, dieses Quietschen hatte wie das gedehnte heisere Heulen der Katzen geklungen, die nachts auf dem Dachfirst gesessen waren oder irgendwo auf einer der Platanen, Katzen im Mondlicht, er hatte sie seit seinem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr gesehen, und danach, seit sechs Jahren, hatte er das Mondlicht nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr als Mondlicht, sondern nur noch als eine trübe verwaschene Helligkeit, die manchmal auch die Nächte unsicher machte, die Stacheldrähte glänzen ließ unddie Eisenbahnschienen, die Stiefelschäfte und die kahlen Schädel, eine feindliche Helligkeit, eisig auch im Sommer, lebensgefährlich. Zweiundzwanzig weniger fünf macht siebzehn, mit siebzehn war er in das Konzentrationslager gebracht worden, in das erste, und vierzehn war er gewesen, noch nicht ganz vierzehn, während der letzten Ferien in Thennberg: Auch das war ein Spiel, dieses Zählen, auch die Jahre waren das eine Mal hohl und das andere Mal kompakt, wie die Worte.
    Spielen, spielen, nur spielen, mit Worten und mit Erinnerungen und mit dem Rhythmus der Schritte. Das Gedächtnis war ein feuchter Korb, in dem ein großes Stück süßlich riechenden Fleisches lag. Er spürte es, schwer,

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