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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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wie im Magen. Der Magen wölbte sich halbkugelförmig; die Russen hatten Schmalz und Brot verteilt, dazu hatte es einen scharfen, die Zunge ätzenden Schnaps gegeben, der das eben erst Hinuntergewürgte, das Halbzerkaute wieder hochtrieb; man hatte sich gesättigt und dann übergeben und dann wieder gesättigt, manche starben daran, waren dage legen wie Sterbende, nachdem ihnen das Unverdaute blutig durch den Mund und durch den After gequollen war; manche überlebten, kauerten in einer Ecke, nahmen kein Schmalz, da es vom Schweine kam, und Gesetz ist Gesetz; und andere machten sich auf den Weg, nach Hause oder in das nächste Dorf, irgendwohin, trugen Schmalz und Brot in einem zerfetzten Bündel, Schmalz und Brot im Magen, trugen sich selbst durch Wälder voller Stille, spielend, waghalsig, sich aus dem Kollektiv dahinsterbender Leiber herauslösend durch die Annahme, sie existierten wieder. Sie selbst und nicht das Kollektiv. Sie spielten Individuum.
    Die Katzen also im Mondlicht, und ihr Heulen wie das Quietschen des Haspelrades – was für ein komisches Wort –, und also der Brunnen. Helene. Der Arm der Helene, ihr Hals, ihre Beine, das Vibrieren des Körpers unter dem Kleid. Ein Gesicht. An dieses Gesicht aber konnte er sich nicht erinnern, er wusste bloß (wie man etwa in der zweiten Klasse des Gymnasiums weiß, dass Skandinavien die Form eines gelb und braun gestreiften Tigers hat, der gleich losspringen wird auf den Kontinent), er wusste bloß, dass es rundlich war, nur an den Backenknochen leicht kantig, hell, die Lippen schmal, und die ins glatt zurückgekämmte dunkle Haar übergehende Stirn flach und hoch; er sah dieses Gesicht zweidimensional, wie vom Schädel abgetrennt, eine Hautfläche zwischen zwei Glasscheiben plattgedrückt. Helene am Brunnen, Frau Wallach, Frau eines Eisenbahners oder eines Postboten namens Veit Wallach, Veit hieß auf lateinisch Vitus, er hatte darüber lachen müssen, damals, neunzehnhundertsiebenunddreißig, im letzten Thennberger Sommer, Helene, Frau Vitus, sie hatte einen kleinen Sohn gehabt, nein, eine kleine Tochter. Die wäre um ein Haar in den Brunnen gefallen, ein kleines wildes Tier, goldblond, nein, strohblond, nein, semmelblond, nein – die Farbe leuchtete endlich auf – weißblond, natürlich, weißblond, wie ihr Vater, mager, ein wildes kleines Gerippe mit Narben an den knochigen Knien, es hatte Lilo geheißen. Gehen Sie heim, hatte Helene gesagt, es war ein später Nachmittag, Lilo quälte den kastrierten Kater im Hof, Vitus Wallach warin der Eisenbahnstation oder in der Post oder im Wirtshaus, Ihre Mama wird sich sorgen, hatte Helene gesagt. Er wagte nicht, sie an der Hand zu fassen, an dieser vor ein paar Stunden federleichten und jetzt so kräftigen Hand, die ihm beim Auskleiden geholfen hatte, irgendeinmal vor ein paar Stunden, vor einer Ewigkeit; wie ein Vogel war diese Hand gewesen, der zuerst mit dem Gefieder der Flügel sachte an die Haut rührt und sich dann im Fleisch festkrallt. Er drehte sich um und ging tatsächlich nach Hause. Er hatte es nicht über die Lippen bringen können, dass er sie ewig, ewig und immer, in alle Ewigkeit –. Er hörte, weit hinter seinem Rücken, ihre Stimme, Lilo, schrie sie, Lilo, Mistfink! Ein Ochse kam ihm entgegen, hinter den steinfarbenen Hufen wirbelte Staub hoch, die Straße war menschenleer, im Park lagen unter den Platanen dürre, an den Rändern eingerollte und zerrissene Blätter, die Mutter saß am Teetisch und legte Patience, sie hatte sich wirklich gesorgt.
    Und jetzt sagen Sie uns ganz genau, wie diese Brüste de facto gewesen sind, hatte Phoebus Silbermann gesagt, das war noch ganz am Anfang gewesen, im zweiten Konzentrationslager oder im dritten, Markus Löw jedenfalls war noch nicht dabei gewesen, man hatte damals noch Lust gehabt, über Frauen zu reden, manche konnten danach immer noch onanieren, ja es musste noch im zweiten Lager gewesen sein, im Jahr neunzehnhundertneununddreißig. Phoebus Silbermann stammte aus Stanislau, dort war irgendeinmal der Name Phoebus große Mode gewesen, er war Rechtsanwalt, auf das Patentieren von Erfindungen spezialisiert, von denen er lange erzählte, Mäzen und stiller Kompagnon der Erfinder, in der Hoffnung, mit Hilfe der goldfarbenen Zahnpasta oder des leuchtenden Taschenkammes oder der mehrteiligen Allzweckbürste (die als Boden-, Schuh- und Kleiderbürste verwendet werden konnte) eines Tages Millionär zu werden, und zwar in den USA, ein mageres Männlein, wie ein

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