Tiere essen
notwendig.
NICOLETTE : Die Brandzeichen sind das Einzige hier auf der Ranch, bei dem ich mich unwohl fühle. Wir reden schon seit Jahren darüber … Aber Viehdiebstahl ist ein echtes Problem.
Ich fragte Bernie Rollin, einen international anerkannten Tierschutzexperten von der Colorado State University, was er von Bills Argument hielt, dass Brandzeichen auch heute noch zum Schutz vor Diebstahl nötig seien.
Ich will Ihnen erzählen, wie heute Rinder gestohlen werden: Die kapern einen Laster und schlachten die Tiere auf der Stelle – meinen Sie, da hilft ein Brand zeichen? Das ist eine kulturelle Frage. Ein Ritual. Jede Rancherfamilie hat so ein Brandzeichen, sie wollen die Tradition nicht aufgeben. Sie wissen, wie schmerzhaft es ist, aber sie haben es schon genauso mit ihren Vä tern und Großvätern gemacht. Ich kenne einen Vieh züchter, eigentlich ein anständiger Rancher, der hat mir erzählt, dass seine Kinder zwar weder zu Thanks giving noch an Weihnachten nach Hause kommen, aber zum Brandzeichensetzen.
Niman Ranch arbeitet auf mehreren Ebenen gegen die herrschenden Verhältnisse in der Tierhaltung, und mehr kann man wahrscheinlich nicht verlangen, wenn jemand ein Modell schaffen will, das sofort von vielen nachgeahmt werden kann. Dieses sofort verlangt eben auch Kompromisse. Brandzeichen sind ein solcher Kompromiss – ein Zugeständnis, nicht etwa an Sachzwänge oder praktische Notwendigkeiten oder Geschmacksvorlieben, sondern an eine irrationale, gewalttätige Gewohnheit, einen Brauch.
Die Rindfleischindustrie hebt sich in ethischer Hinsicht immer noch sehr vom Rest der Fleischproduktion ab, darum hätte ich mir gewünscht, die Wahrheit wäre nicht ganz so hässlich. Die vom Animal Welfare Institute abgesegneten Tierschutzrichtli nien, nach denen Niman Ranch arbeitet – noch einmal: das sind so ziemlich die besten überhaupt –, erlauben außerdem Enthornung (Entfernen beziehungsweise Kürzen der Hörner mit Brennstab oder Ätzstift) und Kastration. Auf den ersten Blick weniger problematisch, aber aus Tierschutzsicht schlimmer ist, dass die Rinder von Niman Ranch ihre letzten Monate auf ei ner Mastparzelle, einem sogenannten Feedlot, verbringen. Diese Feedlots sind zwar nicht so schlimm wie die der Agrarindustrie (weniger Tiere, keine Medikamente, besseres Futter, bessere Pflege, größeres Augenmerk auf das Wohl des einzelnen Tieres), dennoch geben Bill und Nicolette ihren Rindern dort eine Nah rung, die sehr schlecht zu ihrem Verdauungssystem passt, und das über Monate. Sicher, bei Niman Ranch bekommen die Tiere eine verträglichere Getreidemischung als auf industriellen Feedlots. Trotzdem wird das grundlegende »arttypische« Verhalten der Tiere, das Grasfressen, einer Geschmacksvorliebe geopfert.
BILL : Für mich ist heute das Entscheidende, dass ich tatsächlich das Gefühl habe, wir können das Essverhalten der Menschen än dern, und auch die Fütterung dieser Tiere. Das wird eine gemein same Anstrengung Gleichgesinnter erfordern. Wenn ich am Ende meines Lebens Bilanz ziehe, dann möchte ich im Rückblick sagen können: »Wir haben ein Vorbild geschaffen, das jedermann nach ahmen kann«, auch wenn die Konzerne uns vom Markt drängen, immerhin haben wir diesen Wandel herbeigeführt.
Das war Bills Wahl, und darauf hatte er sein ganzes Leben gesetzt. Galt das auch für Nicolette?
»Wieso isst du kein Fleisch?«, fragte ich sie. »Das frage ich mich schon den ganzen Nachmittag. Du sagst immer, dass grundsätzlich nichts Falsches daran ist, aber für dich ist es offensichtlich falsch. Ich frage jetzt nicht, wie es bei anderen Leuten ist, sondern bei dir.«
NICOLETTE : Ich habe das Gefühl, ich kann mich entscheiden, und ich möchte mir keine Schuld aufladen. Aber das liegt an meiner persönlichen Beziehung zu Tieren. Es würde mir zu schaffen ma chen. Ich glaube, ich fühle mich einfach unwohl dabei.
»Kannst du erklären, woher dieses Unwohlsein kommt?«
NICOLETTE : Ich glaube, weil ich weiß, dass es nicht nötig ist. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es wirklich falsch ist. Weißt du, ich bringe einfach das Wort falsch nicht heraus.
BILL : Im Moment des Schlachtens – das ist meine Erfahrung, und ich vermute, auch die der meisten Viehzüchter mit Herz –, da begreift man, was Schicksal und Herrschaft bedeuten. Weil man dieses Tier ums Leben gebracht hat. Eben ist es noch lebendig, und du weißt genau, wenn die Klappe aufgeht und das Tier reingeht, ist es vorbei. Das ist für
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