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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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je zuvor oder jemals wieder.

Influenza
    DIE PANDEMIE VON 1918 ist als »Spanische Grippe« in die Geschichte eingegangen, weil die spanische Presse als einziges westliches Medium angemessen über die hohen Todesratenberichtete. (Man nimmt an, das habe daran gelegen, dass Spanien nicht in den Krieg involviert war und die Berichterstattung dort nicht durch Zensur und andere Themen verzerrt wurde.) Trotz ihres Namens hat die Spanische Grippe die ganze Welt getroffen – daher Pan demie und nicht Epi demie. Es war weder die erste Grippepandemie noch die letzte (1957 und 1968 gab es weitere), aber es war bei Weitem die verlustreichste. AIDS hat rund 24 Jahre gebraucht, um 24 Millionen Menschen zu töten, die Spanische Grippe hat das in 24 Wochen geschafft. Jüngsten Neuberechnungen zufolge fielen ihr weltweit insgesamt 50 Millionen oder sogar 100 Millionen Menschen zum Opfer. Laut Schätzungen war ein Viertel der Amerikaner und möglicherweise ein Viertel der Weltbevölkerung erkrankt.
    Im Gegensatz zu anderen Grippeerkrankungen, die zumeist nur für sehr junge, sehr alte und bereits kranke Menschen lebensbedrohlich sind, tötete die Spanische Grippe gesunde Menschen in der Blüte ihres Lebens. Die höchste Sterblichkeitsrate lag in der Altersgruppe der 25-bis 29-Jährigen, und auf dem Höhepunkt der Grippewelle sank die durchschnittliche Lebenserwartung eines Amerikaners auf 37 Jahre. Die Not war in den USA – wie überall auf der Welt – so groß, dass es mir unbegreiflich ist, warum ich darüber nicht mehr in der Schule gelernt habe oder durch Gedenkstätten oder Geschichten. Auf dem Höhepunkt der Spanischen Grippe starben in einer Woche 20 000 Amerikaner. Es wurden Löffelbagger eingesetzt, um Massengräber zu schaufeln.
    Heute befürchten die Gesundheitsbehörden genau solch einen Fall. Viele sind überzeugt, dass eine durch das H5N1-Virus ausgelöste Pandemie unvermeidlich ist und dass die Frage nur noch ist, wann sie zuschlägt und, vor allem, wie schlimm es wird.
    Selbst wenn das H5N1-Virus an uns vorüberzieht, ohne größeren Schaden anzurichten als der kürzliche Ausbruch der Schweinegrippe, geht heute keine Gesundheitsbehörde mehr davon aus, dass Pandemien vollständig vermieden werden können.
    Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagte ganz schlicht: »Wir wissen, dass eine Pandemie unvermeidlich ist. … Sie wird kommen.« Das National Academy of Sciences Institute of Medicine hat kürzlich hinzugefügt, dass eine Pandemie »nicht nur unvermeidlich ist, sondern überfällig«. In der jüngeren Geschichte brachen im Durchschnitt alle 27,5 Jahre Pandemien aus, und jetzt sind seit der letzten schon über 40 Jahre vergangen. Wissenschaftler können über die Pandemien der Zukunft nichts mit absoluter Sicherheit sagen, aber sie wissen, dass die Bedrohung vor der Tür steht.
    Die WHO hat heute die größte Menge wissenschaftlicher Daten zur Verfügung, die je über eine mögliche neue Grippepandemie gesammelt wurde. Und da ist es ziemlich beunruhigend, dass diese hochoffizielle Anzug-und-Laborkittel-Institution, die normalerweise eher die Devise »keine Panik« ausgibt, folgende Liste »Was man über Grippepandemien wissen muss« für ihre Klientel, also für jeden, bereithält:
    Die Welt steht vor einer weiteren Pandemie .
Alle Länder werden betroffen sein . Es wird zu Massenerkrankungen kommen . Die medizinische Versorgung wird unzulänglich sein .
Es wird viele Tote geben .
Die ökonomischen und sozialen Schäden werden enor m sein .
    Die relativ konservative WHO geht »nach relativ konservativer Schätzung von 2 Millionen bis 7,4 Millionen Toten« aus, wenn die Vogelgrippe auf den Menschen übergreift und durch die Luft übertragen wird (wie die Schweinegrippe, H1N1). »Diese Schätzung«, erklärt die WHO weiter, »basiert auf der verhält nismäßig milden Grippepandemie von 1957. Wenn man von ei nem Virus ausgeht, das so virulent ist wie das von 1918, liegen die Schätzungen sehr viel höher.« Schön, dass die WHO diese höheren Schätzungen nicht in die »Was man wissen muss« Liste aufgenommen hat. Unschön, dass sie nicht sagen kann, die höheren Schätzungen wären weniger realistisch.
    Von all den tiefgefrorenen Toten von 1918 grub Hultin schließlich die Leiche einer Frau aus und nannte sie Lucy. Er trennte die Lunge aus Lucys Körper heraus und schickte sie an Taubenberger, der Gewebeproben nahm und wirklich bemerkenswerte Erkenntnisse gewann. Seine Ergebnisse, die

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