Tiffany Duo Band 0119 (German Edition)
Straßenschild herunterfloss, versuchten die beiden rivalisierenden Gartenclubs der Stadt noch immer, sich gegenseitig zu beweisen, wer den grüneren Daumen hatte.
Charly fand das höchst amüsant. Sie war überzeugt gewesen, dass die meisten der alten Fregatten das Zeitliche bereits gesegnet hatten.
Mit hämmerndem Herzen fuhr sie zweimal um das alte Gerichtsgebäude mit seinen eindrucksvollen weißen Säulen herum. Ob er wohl dort war? Es war schon nach Büroschluss, aber er hatte oft noch spät abends in seinem Zimmer hinter dem Gerichtssaal im zweiten Stock gearbeitet. Im Winter, wenn die Bäume kahl waren und es früh dunkel wurde, hatte sie von ihrem Schlafzimmerfenster aus das Licht in seinen Fenstern sehen können.
Nein. Sie holte tief Atem. Er würde nicht da sein. Bestimmt war er schon längst im Ruhestand.
Nachdem sie eine zweite Runde um den Marktplatz gedreht hatte, suchte Charly sich einen Parkplatz und machte den Motor aus. Ihre Handflächen waren feucht und ihr Mund war trocken, und sie befürchtete, dass ihre Beine einknicken würden, wenn sie versuchte, auf ihnen zu stehen.
Jetzt bereute sie es inständig, hierhergekommen zu sein. Sie musste verrückt geworden sein. Es war eine Schnapsidee. Völlig idiotisch.
Aber sie hatte es getan, und wie sollte sie je wieder in den Spiegel schauen, wenn sie es jetzt nicht auch durchstand? Es war eben nicht ihre Art, sich einfach umzudrehen und unverrichteter Dinge wegzufahren. Nicht nach allem, was passiert war. Dafür hatte sie einen zu weiten Weg zurückgelegt, nicht nur in Meilen. Sie musste es zu Ende bringen. Das war sie sich schuldig … zumindest einen sauberen Schlussstrich zu ziehen.
Aber bevor sie ihm gegenübertrat, musste sie sich erst einmal beruhigen. Sie würde ganz kühl und gelassen bleiben. Erwachsen. Sie durfte ihn ihre Verletzlichkeit nicht spüren lassen. Sie kannte ihn. Sie durfte sich keine Blöße geben, denn das würde er sofort ausnutzen.
Charly stieg aus dem Wagen und schloss ihn ab – eine Angewohnheit, die ihr, da sie ihr ganzes Erwachsenenleben in Los Angeles verbracht hatte, zur Selbstverständlichkeit geworden war –, dann blieb sie einen Moment stehen und schaute nachdenklich auf das Lokal an der Ecke auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Schild darüber, auf dem noch immer
Coffee Shop
stand, war dasselbe wie früher. Aber damals hatte das kleinere, handgemalte Schild im Schaufenster verkündet, dass es sich um
Dottie’s Diner
handelte. Jetzt war es
Kelly’s Kitchen
.
Das kann nicht sein, dachte Charly. Oder vielleicht doch? Sie wurde von alten Erinnerungen durchgeschüttelt wie Turnschuhe in einem Wäschetrockner.
Endlich überquerte sie, zum ersten Mal mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, seit sie die Stadtgrenze passiert hatte, die Straße und ging in das Lokal.
Einen Moment lang war das Gefühl des Déjà-vu so überwältigend, dass ihr ganz schwindlig wurde. Da waren derselbe schwarzweiße Linoleumboden, der wie ein Schachbrett aussah, dieselben Resopaltische mit den Chromeinfassungen, dieselbe Theke, dieselben roten Plastikbänke. Vier Jugendliche – zwei Pärchen – schäkerten im hinteren Teil des Raumes in einer Nische herum, ohne dem Elton-John-Song, der aus einer Musikbox erschallte, Aufmerksamkeit zu schenken. In dem Alkoven rechts neben den Toiletten vertrieb sich ein weiterer Jugendlicher seine Zeit mit einem Videospiel. Früher hatte dort ein Flipper gestanden, aber alles andere war genauso, wie sie es erinnerte, einschließlich der Tatsache, dass die Luft trotz des eingeschalteten Deckenventilators stickig war und nach Bratfett roch.
Hinter dem Tresen war eine hübsche Blondine damit beschäftigt, die Kuchenvitrine aufzufüllen. Als sie Charly hereinkommen hörte, drehte sie sich halb um, wobei sich ihr Gesicht automatisch zu einem Willkommensgruß aufhellte, und rief dann in einem freundlichen Singsang: “Hey! Suchen Sie sich schon mal einen Platz, ich bin sofort da, okay?”
Gleich darauf kam es Charly so vor, als hätten außerirdische Wesen die Herrschaft über ihren Körper übernommen. Sie hatte das Gefühl, jäh zermalmt zu werden. Und über ihre Stimme schienen diese Außerirdischen ebenfalls die Herrschaft übernommen zu haben, denn als sie schließlich sprach, kamen die Worte viel lauter und schriller heraus als normalerweise, mit einem stärkeren Alabamaakzent, als sie ihn je in den letzten zwanzig Jahren aus ihrem eigenen Mund gehört hatte. “
Kelly
? Kelly Grace,
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