Timm Thalers Puppen
anzuzeigen; und Elfriedes Vater hielt sich das linke Armgelenk ans Ohr und sagte »tiktak«, um
anzuzeigen, daß in der Tasche auch eine Armbanduhr gewesen sei.
Das Ausfüllen des Fragebogens dauerte auf diese Weise mehr als eine Stunde. Danach schied man mit Händedruck und freundlich voneinander. Elfriedes Mutter bekam für die Versicherung in Deutschland einen Durchschlag des Papiers.
Elfriede aber erfuhr während dieser Stunde von Antonia, daß diese dicke Frau, die mit der Modepuppe in den Armen dastand, wirklich die Mutter von den beiden Mopedfahrern war. Sie war seit kurzer Zeit auch Witwe. Das Bild ihres verstorbenen Mannes hing mit einer schwarzen Schleife an der Wand.
Viel mehr aber erfuhr Elfriede durch den bloßen
Augenschein. Als nämlich auf dem Schirm des
Fernsehapparates, mit der dazugehörigen Musik im
Walzertakt, die Puppe Sindy wieder einmal auftrat, da stieß die dicke Frau Elfriede an, zeigte erst auf den Fernsehapparat und danach stolz auf ihre Puppe und rief, das Fernsehen noch übertönend: »Ecco! Ecco!«, was etwa »Seht ihr wohl!«
bedeuten sollte.
Nun erst begriff Elfriede den Zusammenhang zwischen dem Wunsch der dicken Frau nach dieser Puppe, die sie für sich, nicht für das Töchterchen haben wollte, und dem
Handtaschenraub der mürrisch-barschen Söhne.
»Das Fernsehen hat diese arme Frau verrückt gemacht nach Sindy«, dachte sie. »Dann hat die Frau die Söhne verrückt gemacht, die ihre Mutter wohl ernähren müssen, und weil kein Geld für diese teure Puppe da war, haben die Söhne nach neuester Methode das notwendige Geld geklaut – von meiner Mutter. Ohne das Fernsehen und seine Puppe hätten wir Geld und Tasche vielleicht immer noch. Wer weiß?«
Am Spätnachmittag, als Elfriede mit Antonia zurückging nach Chioggia, hing am Gebüsch am Wegrand eine Tasche, eine rotbraune Schlenkertasche mit dem berühmten goldenen V der Firma Viles. Sie war aufgeklappt und leer.
Antonia wollte sich die Tasche holen, aber Elfriede machte ein Gesicht, als ekele es sie davor. So ließ Antonia sie in den Büschen hängen.
Nur wenig später traf Elfriede ihre Eltern im Hotel. Die Eltern fragten sie, wo sie gewesen sei, und sie gab unbestimmt zur Antwort: »Außerhalb.«
Vom Glockenturm schlug es sieben Uhr, als Timm Thaler die Geschichte beendet hatte. Es war noch taghell, und das kleine Straßencafe, in dem wir saßen, war jetzt voller Gäste.
Seltsamerweise sagte der Baron nichts nach der Geschichte.
Dafür sagte Krescho: »Ich hätte die beiden Mopedfahrer angezeigt, wenn sie meiner Mutter die Handtasche geraubt hätten.«
»Mädchen sind vielleicht weniger aufs Anzeigen und
Strafen aus«, meinte sein Vater. »Elfriede wußte ja, was alles mit dem Raub zusammenhing.«
»Und schuld war wieder einmal«, sagte der Baron, »die Werbung. Stimmt’s, Herr Thaler?«
»So ungefähr, Baron«, antwortete Timm.
Dann zahlten wir, und der Baron lud uns zu einem Imbiß auf die Yacht ein.
Wir folgten seiner Einladung und aßen an Deck, auf
Klappstühlen um einen Klapptisch sitzend, Spaghetti mit Muscheln, die der alte Mann bereitet hatte, der behauptete, Besitz sei Ballast.
»Der Alte weiß trotz allem die guten Seiten des Lebens zu schätzen«, sagte Timm unterm Essen. »Er kocht ganz
vorzüglich.«
»Soll ich ihn als Koch für Sie engagieren?« fragte der Baron. »Ich kaufe Ihnen in Venedig gern ein Haus.«
»Und wofür benötige ich ein Haus in Venedig?« fragte Timm erstaunt.
»Ich hatte mir gedacht, Herr Thaler…« Der Baron zögerte, als müsse er erst überlegen, was er sagen solle. Dann aber fuhr er lebhaft fort: »Ich hatte mir gedacht, Herr Thaler, daß Sie die kleinen Dramen, die Sie als Geschichten vorgetragen haben, in einem alten wohlbekannten Hause in Venedig spielen könnten, das ich Ihnen schenke. Sie hätten dort ein internationales Publikum. Ich würde eine Baron-Lefuet-Stiftung gründen, mit deren Hilfe Sie bis an Ihr Lebensende… «
»…Stücke vorführen könnte«, ergänzte Timm, »als
Propaganda für die Baron-Lefuet-Gesellschaft. Schönen Dank.
Aber das Angebot ist mir viel zu gerissen.«
Der Baron, auf seiner schmalen Unterlippe kauend, sagte:
»Überlegen Sie es sich, Herr Thaler. Sie haben ja Zeit.«
»Und weil ich immerzu Zeit haben möchte, Baron, und
mich nicht drängen lassen möchte von Terminen oder
Honoraren«, sagte Timm, »deshalb sag ich noch einmal: nein.« Er fügte hinzu: »Wann, was und wo ich spiele, lag bislang bei mir allein.
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