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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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befreundet gewesen sei.
    Hans Lach führte sein Eingeladenwordensein darauf zurück, daß er in der Frankfurter Allgemeinen gerade ungut behandelt, ja sogar richtig beschimpft worden sei, als Populist. Und zwar von einem der Herausgeber persönlich. Dadurch sei er für Wesendonck einladbar geworden. Wesendonck habe ihn, Hans Lach, diesen Abend lang richtig geprüft, ob er in die Wesendonckphalanx passe. Ich müsse ja bemerkt haben, daß Wesendonck den Namen jenes Herausgebers immer mit dem Zusatz Faschist versehen habe. Diese Schmähfloskel stammte deutlich aus den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Aber die, die sie damals im Mund führten, konnten offenbar auch jetzt, obwohl selber deutlich gealtert, nicht darauf verzichten. Obwohl ich nirgends dazugehöre – wer geschichtsträchtige Bücher schreibt, kann die Abende nicht verplaudern –, kriege ich, weil ich, wenn ich erschöpft bin, Zeitungen durchblättere, doch mit, wer gerade mit wem und wer gegen wen ist. Den Rest sagt mir Professor Silberfuchs im Kammerspiel-Foyer oder am Telephon. Er ist, wie er es selber fröhlich ausdrückt, mit Gott und der Welt befreundet, und ich gehöre zu seinen Telephonnummern. Er hat mein Mystik-Buch über alle Maßen gelobt. In der Zeitung und im Radio. Dann mich angesprochen im Foyer der Kammerspiele . Er habe damit wirklich gewartet, aber als er mich zum vierten Mal auf dem Platz zwei Reihen vor sich gesehen habe, habe er sich und dann auch mich darauf hinweisen müssen, daß wir dem gleichen Abonnement angehörten. Als er hörte, daß ich in Gern wohnte, sagte er sofort: Hans Lach auch. Und sagte gleich noch dazu, daß er seinen Spitznamen Hans Lach verdanke. Und er sei überhaupt nicht beleidigt. Er finde, der von Hans Lach für ihn gefundene Spitzname könnte auch bei Wagner in den Meistersingern vorkommen. Jetzt mußte ich doch gestehen, daß ich seinen Spitznamen nicht kenne. Ach, rief er, wie lustig. Sie sind der einzige in ganz München, der den nicht kennt. Und es mache ihm überhaupt nichts aus, seinen Spitznamen selber zu verbreiten. Silbenfuchs habe Hans Lach ihn genannt, nachdem er, Professor Silberfuchs, den vorvorletzten Roman von Hans Lach in irgendeiner Konversation ein Werk von grandioser Selbstbehinderung genannt habe. Was man in München irgendwo sage, sage man immer der ganzen Stadt. Zumindest in der Kulturszene. Die sei nirgends so tratschselig wie in München. Das alles rauschte im Foyer auf mich ein, weil ich, als er sich als Harlachinger ausgewiesen hatte, mich zu Gern bekannte. Und Gern heißt für einen Professor der Literaturwissenschaft Hans Lach. Hans Lach sei inzwischen, sagte er noch schnell, weil das Klingelzeichen mahnte, doch fast schon zu prominent für das liebe Kleinbürgerviertel. Der gehört längst nach Bogenhausen, sagte der Professor. Und Ton und Schmunzeln konnten bedeuten, der Satz sei auch ironisch gemeint gewesen. Daß ich nicht nach Bogenhausen, sondern eben doch nach Gern gehörte, hatte der Professor mit diesem Satz sicher nicht sagen wollen. Ich hatte nicht vermeiden können, das herauszuhören.
    Keine Polizei der Welt würde mich eines Mordes verdächtigen. Hans Lach schon. Obwohl er den Mord so wenig begangen hat wie ich. Als ich las, was über Hans Lach in der Zeitung stand, überlegte ich nicht, ob er mich brauche oder nicht. Ich war nicht fähig, mir vorzustellen, daß es in München und in ganz Deutschland mehr als genug Menschen gäbe, die Hans Lach von diesem absurden Verdacht befreien würden. Gar nichts konnte ich mir vorstellen. Nicht einmal, daß ich aufdringlich wirken könnte. Er mußte Freunde haben, die viel ernsthafter seine Freunde waren als ich, der Zufallsnachbar. Mir ist sonst immer alles zu schnell peinlich. Und jetzt gar nicht. Hin mußte ich. Sofort. Nach München. Und hinaus nach Stadelheim.

    2

    Der Beamte, der mich an der Pforte abholte, sagte: Der Chef macht den Besuch selber. Wie lang, fragte ich. Er: Wenn ich den Besuch machen tät, könnte ich nur eine halbe Stunde erlauben, der Chef kann machen, so lange er will. Der Herr Oberregierungsrat wußte also immerhin, wer sein Untersuchungshäftling war. In einem polizeigrün gestrichenen Raum wurde ich an ein rundes Tischchen in der Ecke gesetzt, dann kam der Herr Oberregierungsrat mit seinem Häftling herein. Hans Lach und ich am Tischchen in der einen, der Beamte an dem Schreibtisch in der anderen Ecke. Als wolle er uns zeigen, daß er unser Gespräch nicht überwache, fing der

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