Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
1
Nebenan wurde das Bett frisch bezogen. Ich hörte das gestärkte Laken knistern, als es von fachkundigen Frauenhänden glatt gestrichen wurde. Neugierig schielte ich um die Ecke: Flinke, geübte Finger schlugen es um die Matratze.
»Na, Frau Wolf? Wollen Sie mir helfen?«
Frau Ursula, die nette Hausbesorgerin, schaute sich schelmisch nach mir um.
»Ja, gern!« Unauffällig ließ ich die Zigarettenschachtel in meiner Hosentasche verschwinden und streckte schon die Hände aus.
»Aber nicht doch!« Frau Ursula grinste über das ganze Gesicht. »Sie sind doch zur Erholung da und nicht zum Arbeiten!«
»Aber das bisschen Bettenbeziehen … « Ich spürte, wie ich rot wurde, weil ich auf sie hereingefallen war.
»Frau Wölfchen, Frau Wölfchen!« Ursula stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte tadelnd den Kopf. »Jetzt sind Sie gerade mal zwei Wochen hier und haben höchstens ein Pfund zugenommen. Der Chefarzt reißt mir den Kopf ab, wenn ich Sie hier arbeiten lasse!«
Gegen die robuste Hausbesorgerin kam ich mir klein und winzig vor. Sie wog mindestens doppelt so viel wie ich.
»Wer … ähm … ich meine, welche neue Patientin kommt denn hier rein?« Ich sah mich neugierig nach einem neuen Namensschild um.
»Keine Ahnung«, sagte Frau Ursula und schüttelte energisch die Kissen auf. »Ich bin ja nur fürs Grobe da! Eure Seelenklempner wissen da sicher mehr!«
»J. Bruns«, las ich. Bis heute Morgen hatte Lilli Jacob hier gewohnt, eine lustige dunkelhaarige Frau in meinem Alter, mit der ich viel Spaß gehabt hatte. Obwohl wir Ende vierzig waren, hatten wir uns gefühlt wie im Mädcheninternat, wenn wir nach dem Lichtlöschen am Abend noch in die Raucherecke geschlüpft waren und im Morgenrock halbe Nächte verquasselt hatten. Hier im Rehazentrum wurden müde Krieger wieder aufgepäppelt, gestrandete Fische wieder ins Leben spendende Nass zurückgeworfen und traumatisierte Seelen getröstet. Meine Kurfreundin Lilli war erst vor einer Stunde als »gesund und normalgewichtig« entlassen worden. Natürlich hatten wir uns versprochen, in Kontakt zu bleiben, aber eine merkwürdige Leere, ein Sehnen nach Zweisamkeit hatten von mir Besitz ergriffen. Hier stand ich nun mutterseelenallein und hatte noch mindestens acht Kurwochen vor mir. Draußen war es kalt und grau, der dichte Tannenwald voll ungeschmückter Weihnachtsbäume wiegte sich tapfer im Dezemberwind. Diesmal würde ich Weihnachten nicht bei meinen Söhnen verbringen, und das brach mir fast das Herz. Professor Lenz hatte mir ein »Erschöpfungssyndrom« bescheinigt, das mit Unterernährung, Schlaflosigkeit, Panikattacken und nervöser Unruhe einherging. Wir schrieben das Jahr1987 , und ich stand mit achtundvierzig rechnerisch in der Mitte meines Lebens, war aber körperlich und seelisch bereits komplett am Ende. Mein Blick irrte durch das leere Zimmer, glitt über die blank gewienerten Fußböden, das Waschbecken, das noch keine Spuren menschlicher Anwesenheit aufwies, den Schrank mit den fünf Holzbügeln, an denen noch keine Kleider hingen, und das Nachtkästchen, auf dem kein Schmöker mit Eselsohren lag. Lilli und ich hatten uns unsere Bücher ausgeliehen und uns im Wintergarten der Kurklinik oft gegenseitig unsere Lieblingsstellen vorgelesen. Wir hatten unsere Ängste und Sorgen miteinander geteilt und am Ende meist zusammen gelacht. Wir kannten alle unsere Geheimnisse und waren dicke Freundinnen geworden. Hoffentlich würde »J. Bruns« keine moralinsaure alte Jungfer mit einem nervösen Magenleiden sein, die humorlos auf ihre Mittagsruhe pochte und abends genervt an die Wand klopfte, wenn ich meine Lieblingsmusik hörte. In den vier Wochen, die ich nun hier war, hatte ich zum ersten Mal seit Langem so etwas wie Leichtigkeit und Übermut gefühlt, so ein Prickeln, als könnte das Leben doch noch die ein oder andere schöne Überraschung für mich bereithalten.
Wer auch immer »J. Bruns« sein mochte: Wir würden hoffentlich eine Menge Spaß miteinander haben.
2
Als ich im Sommer 1939 geboren wurde, brach gerade der Zweite Weltkrieg aus. Das vorletzte armselige Gehöft kurz vor dem Steinbruch war mein Elternhaus. Es war ein winziges, windschiefes Häuschen in einem vergessenen Schwarzwaldtal, das mein Großvater noch selbst gebaut hatte. Es maß fünfundfünfzig Quadratmeter, besaß kein fließend Wasser, und die verwinkelte Wohnküche war so klein, dass ich keinen Platz am Tisch hatte und auf einer Kiste unter der Stiege sitzen musste.
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