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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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jung und frisch. Inkognito in meinem struppigen Pelzanzug, und trotzdem jemand. Jemand.
    Wäre ich nicht so offenkundig ein Jemand gewesen, hätten mich die Demonstranten vielleicht durchgelassen.
    Ich stieß auf sie, als ich die südliche Ringstraße zu überqueren versuchte. Ich war der fünfte in einer Wagenschlange, und sie ließen die ersten vier durch. Bei mir kamen sie zu dem Schluß, daß sie mich nicht mochten. Ich konnte ihnen das nicht einmal verdenken: Bei dem Wagen mußte ich ja ein wichtiger Typ sein – in der Wirtschaft, in der Regierung oder bei den Gewerkschaften. Oder – was von ihrem Anti-Standpunkt aus das Schlimmste war: – womöglich gar ein berufsmäßiger Spaßmacher. Also setzten sie sich vor mir auf die Straße, und die Polizei begann sie fortzuschaffen. Natürlich trafen laufend neue Demonstranten ein, so daß jeder freigeräumte Platz sofort wieder besetzt wurde. Außerdem waren Verhaftungen in diesem Gewühl unmöglich, so daß sich die Fortgetragenen in aller Ruhe wieder aufrappeln und an den Ort des Geschehens zurückkehren konnten. Die Polizei begann zu schwitzen und die Ruhe zu verlieren, die sie am Anfang vielleicht besessen hatte; Schlagstöcke wurden gezogen, Stiefel gerieten in Bewegung. Hinter den Demonstranten sah ich einen Wasserwerfer auffahren.
    Die Szene nahm ihren Fortgang; dabei war ich es gar nicht wert, daß solches Aufhebens um mich gemacht wurde. Ich wendete also meinen Luxusschlitten und fuhr zurück. Es wurde nicht einmal gejubelt. Hinter mir standen die Demonstranten einfach auf und setzten ihren Marsch fort.
    Die nächste Kreuzung, an der ich es versuchte, war auf gleiche Weise verstopft. Und auch die dritte. Und die vierte. In vier Reihen hintereinander, ruhig, ein Banner in jeder fünften Reihe, so passierten die Marschierenden die lange Kühlerhaube meines Wagens, brüllten ab und zu müde auf, doch meistens haßten sie stumm vor sich hin, während sie marschierten. Seit der Anordnung, die Protestmärsche im Zentrum verbietet, hatten die Bürgerrechtsleute geschworen, sie würden einen festen Kordon um die gesamte City legen. Hundert Meilen Demonstranten, in ordentlichen Viererreihen. Und niemand hatte das für möglich gehalten. Wir ertrugen solche Märsche wie den Winterregen – sie waren unbequem, sogar wirtschaftsschädigend, doch es ließ sich immer irgendwie damit auskommen.
    Als ich jetzt jedoch die müde, buntscheckige, erbarmungslose Prozession beobachtete, die sich auf den hellen Vorortstraßen in beiden Richtungen endlos erstreckte, sich stets verändernd, doch immer wieder gleich, begann ich mir Gedanken zu machen. Hundert Meilen Demonstranten: das war keine vulgäre Rhetorik mehr. Das war Bevölkerung.
    An der nächsten versperrten Kreuzung sah ich ein NTV-Kamerateam bei der Arbeit und seufzte. Wenn ich Vincent gesagt hätte, ich würde in der Gegend sein, hätte er viel Geld sparen können. Ich wendete den Wagen erneut und versuchte es weiter im Westen. Inzwischen war ich wütend und stur geworden, sonst wäre ich zum Sender zurückgefahren und hätte mir einen kleinen, grauen Wagen aus der Fahrbereitschaft geborgt – obwohl auch die nicht immer durchgelassen wurden, wenn den Demonstranten das Gesicht des Fahrers nicht gefiel. Es war eine lächerliche Situation. Wie die heutige Forderung auch aussehen mochte – ich hatte längst die Übersicht verloren –, sie rechtfertigte jedenfalls nicht diese kleinkarierte, willkürliche Tyrannei.
    Bei meinem sechsten Versuch, aus der Stadt zu kommen, gedachte ich mir nichts mehr bieten zu lassen. Ich war kein Manipulator – das Wort Unterdrücker war längst aus ihrem beschränkten Schimpfvokabular gestrichen worden –, ich hatte früher sogar manchmal auf ihrer Seite gestanden: wenn sie meinetwegen eingedrückte Rippen riskieren wollten, war das ihre Sache. Ich fuhr dicht hinter einen Milchwagen, der bestimmt durchgelassen wurde, und behielt den Fuß auf dem Gashebel. Wenn sie sich zwischen mich und den Laster drängen wollten, würden sie sich Mühe geben müssen, wieder rauszukommen.
    Ich habe diesen Gedankengang ohne Kommentar niedergeschrieben. Er war leicht zu vollziehen und hinterher unvergeßlich. Angesichts dieser Gründe war es nur recht und billig und fast unvermeidlich, daß ich mit den großen Vorderrädern meines Wagens zwei Demonstranten überfuhr, ehe ich anhalten konnte. Wenn sie sich meinetwegen totquetschen lassen wollten, war das ihre Sache.
    Ich saß sehr still in der seltsamen

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