Todesfessel - Franken-Krimi
wieder mal Theaterkarten in Coburg, hier für die Premiere!« Sorgfältig streifte er die Handschuhe über und schnappte seinen Tatortkoffer. »Und jetzt Ruhe, Charly … denk an die Regel Nummer eins am Tatort!«
»Augen auf, Mund zu, Hände in die Hosentasche …«
Auf Zehenspitzen, um keine Blutspuren zu verwischen, näherten sie sich in ihren Überschuhen dem Stuhl mit der toten Ballerina. Ihre mandelförmigen Augen starrten puppenhaft leer zur Decke. Im Weiß der Augenbindehaut zeigten sich feine rote Pünktchen. Ebenso auf Stirn und Wangen. Wortlos deutete Siebenkind auf ihren Hals: Zwei Fingerbreit oberhalb ihrer offen stehenden Kehle zogen sich ringartige Abschürfungen um ihren Hals. Hatte der Mörder sie erst noch stranguliert?
Charlys Blick fiel auf die Schnur, mit der die Tote gefesselt war. Unter dem vielen geronnenen Blut auf ihrem nackten Körper eine zeitaufwendige, fast kunstvolle Verschnürung: symmetrisch angelegt, mehrfach überkreuzt, zwischen Achselhöhlen und Scham ein breites, fast rautenförmiges Muster bildend. Eine perverse Ästhetik des Grauens …
Was hatte sich der Killer dabei gedacht, grübelte Charly, während Siebenkind gelassen das elektronische Thermometer auspackte, um Kims Rektaltemperatur zu messen und dadurch den Zeitpunkt ihres Todes zu bestimmen.
Welche Rückschlüsse auf den Täter konnte man allein schon aufgrund der exotischen Fesselung ziehen? Ein wichtiger Ansatzpunkt für die nächsten Tage.
»Charly … Charly!« Heinz-Uwe Löhlein stand in der offenen Tür der Künstlergarderobe und winkte aufgeregt.
»Was denn?«, grummelte er unwirsch.
»Vöhringer will dich sprechen! Jetzt, dringend, sofort!«
»Vöhringer?« Charly winkte müde ab. »Sag ihm, er steht auf meiner Warteliste. Platzziffer 1465.«
Löhlein starrte ihn ungläubig an. »Spinnst du? Er will mit dir ein kurzes Briefing machen, für den MP ! Der MP will gleich mit dir reden!«
»Jetzt? Ein Briefing mit Vöhringer? Der hat sie doch nicht mehr alle! Sag ihm, der MP hat Platzziffer 1466 … die sollen uns hier erst mal unseren Job machen lassen!« Gebieterisch kommandierte Charly den Pressesprecher herbei, der gerade hinten im Gang auftauchte. »Quax? Pressekonferenz Punkt neun im Spiegelsaal!«
Quax hob den Daumen und machte auf dem Absatz kehrt, das Handy weiter fest ans Ohr gepresst.
Siebenkind, mit der Linken immer noch das Rektalthermometer fixierend, grinste Löhlein zu.
»Sag dem MP , wir sind grad acht Zentimeter tief in Kim LaYoung … Des dauert halt noch a weng!«
Zwanzig Minuten später hatte Dr. Christof Siebenkind seinen Einsatz beendet, auch Charly kehrte aus seiner meditativen Tatort-Trance langsam wieder zurück. Er spürte wachsenden Widerwillen gegen den immer schlimmer werdenden, metallisch anmutenden Gestank des geronnenen Bluts und registrierte wieder bewusst das Stimmengewirr im Flur und vor der Tür.
Ein dröhnender Bass, mit unverkennbar holländischem Akzent: »Lassen Sie mich gefälligst durch, ich bin der Intendant!«
»… ist ja unerhört, was Sie sich hier leisten!«, unterstützte ihn eine glasklare, metallisch klingende Frauenstimme.
Charly stöhnte leise.
Inspiration und Intuition waren endgültig zum Teufel. Vorsichtig bewegte er sich vom Stuhl weg nach hinten und schlüpfte durch die angelehnte Garderobentür wieder auf den Gang hinaus.
Ein wild mit den Armen fuchtelnder Hüne in braunem Anzug, mit Halstuch und silbergrauen Kräusellöckchen – für jeden Coburger unverkennbar der Theaterintendant, René van Houten. Neben ihm eine alterslose, drahtige Frau mit schwarzem, straff nach hinten gebundenem Pferdeschwanz.
»Sind Sie der Kommissar?«
Der Leichenwagen war bis an die unterste Treppenstufe herangefahren. Im Dauerregen trugen ein schwergewichtiger Glatzkopf und sein milchgesichtiger Helfer, in dunklen Konfektionsanzügen und erstaunlich abgetragenen schwarzen Halbschuhen, den Blechsarg aus dem Landestheater heraus. Unter den aufgeregten Blitzlichtern der Lokalpresse verstauten sie Kim LaYoungs sterbliche Überreste mit schwarzen Lederhandschuhen routiniert in der geöffneten Heckklappe ihres Mercedes.
Charly komplimentierte den Intendanten samt Begleiterin – »Sie kennen mich nicht? Ich bin Nora Henderson, die Ballettchoreografin des Hauses!« – in eine ruhige Ecke am Fenster und versorgte sie rasch mit den nötigsten Informationen, während er, über ihre Schultern hinweg, verstohlen den Abtransport der Leiche verfolgte.
Zuvor hatte Nora
Weitere Kostenlose Bücher