Todesfessel - Franken-Krimi
Henderson die Tote, als diese im Sarg lag und bis zum Kinn abgedeckt war, eindeutig als Kim LaYoung identifiziert.
Lange hatte sie das Gesicht der toten Ballerina gemustert, bevor sie, kaum hörbar, bestätigte: »Das ist Kim.« Einen Wimpernschlag später korrigierte sie sich, etwas lauter, mit belegter Stimme: »Nein, das war Kim … das ist sie ja nicht mehr …«
Während der Intendant es vorzog, in sicherer Entfernung abzuwarten, drehte sich Nora noch einmal zurück und verharrte unter den fragenden Blicken der Bestatter regungslos am Sarg.
Keine Tränen, kein Schluchzen – nichts. Erstaunlich gefasst und willensstark, dachte Charly. Ob sie was eingeworfen hat? Sie haben doch jahrelang, Tag für Tag, zusammengearbeitet.
Endlich drehte sich Nora Henderson wieder um und kam direkt auf ihn zu. Scheinbar völlig unbeirrt. Neben ihrem rechten Auge schillerte ein sternförmiger kleiner Blutschwamm.
»Ich möchte nur eines wissen, Herr Kommissar. Haben Sie auch eine Tochter?«
»Äh … das tut hier nichts zur Sache«, hörte er sich verdutzt sagen.
»Also ja! Dann wissen Sie, was Sie zu tun haben, Herr Kommissar … Finden Sie dieses verdammte Schwein!«, brach es aus ihr heraus.
Ruckartig wandte sie sich ab, ließ Charly und van Houten stehen und lief hinaus, die Treppe hinunter, eilte durch den strömenden Regen auf die andere Straßenseite vor dem Palais Edinburgh, wo sie ein blasser, hagerer Mann im offenen Trenchcoat und einem dunkelgrünen »Veltins«-Regenschirm offenbar erwartet hatte.
»Zigarette?«
Charly sah überrascht auf. Der Intendant persönlich offerierte hier, im Herzen des generalsanierten Landestheaters, ein aufgeklapptes Silberetui. Schweigend nickte Charly und ließ sich Feuer geben.
Endlich … Ein tiefer Lungenzug … es geht wieder los, ich jage einen Killer! Endlich wieder Vollgas, ohne Rücksicht auf Verluste. Wieder inhalierte er tief. Bin ich eigentlich krank? Schnell verscheuchte er den düsteren Gedanken wieder. Nein, ich bin absolut professionell.
Löhlein tippte ihm auf die Schulter.
»Dr. Stein ist schon im Spiegelsaal, Charly; das Tatortvideo ist auch im Kasten. Brauchst du jetzt hier noch was?«
Charly antwortete nicht. Sorgfältig legte er die Zigarette auf der Fensterbrettkante ab und betrat noch einmal die kleine Künstlergarderobe.
Die Leiche war weg, viele Spuren jetzt verwischt.
Vordergründige, visuelle Schockeffekte waren verschwunden, waren einem imaginären, doch unsagbar beklemmenden Grauen gewichen.
Langsam drehte sich Charly um die eigene Achse, lieferte sich ein letztes Mal ganz bewusst seinen Sinneseindrücken aus.
»Nein«, sagte er schließlich und schluckte kurz, als er wieder zu Löhlein und van Houten in den Flur hinaustrat.
»Hier brauche ich nichts mehr.«
22:28 Uhr – Polizei Coburg, Lageraum
»Scheiße, Mann!«, stöhnte KOK Hetz leise. Schon zum dritten Mal in zwei Minuten.
Selbst Ritter verdrehte jetzt genervt die Augen, stellte Charly fest.
Rainer Hetz war Drogenfahnder vom K4, von den Kollegen »Ranger« gerufen wegen seiner Vorliebe für Outdoor-Kleidung und ständig wechselnde gebrauchte Geländewagen. Jetzt war allerdings nichts mehr zu sehen von seiner kaugummikauenden coolen Standardpose. Kopfschüttelnd raufte er sich das dichte dunkle Haar.
»Mannmannmann, hätte ich das bloß geahnt! Ich hab sie gestern auf dem Atelierfest gesehen, ich war an der Bar nur zwei Stühle weiter!«
»Wie kommt ein popliger Oberkommissar wie du auf ›Victors Atelierfest‹?«, stichelte Charly.
»Bitte, Herrmann!«, fuhr Ritter dazwischen. »Alles rein dienstlich, alles mit mir abgesprochen! Dieser Victor schickt uns jedes Jahr eine Freikarte für sein … äh … Honoratiorentreffen! Habe mich tödlich gelangweilt letztes Jahr, deshalb hab ich die Karte diesmal an unsere Drogenfahndung weitergegeben.«
Hetz nickte nachdrücklich. »Hat sich auch echt gelohnt, Chef, da sind einige Näschen gepudert worden. Ich hab da ein paar hochinteressante neue Namen jetzt! Zum Beispiel diesen Rechtsanwalt da, der mit den zwei Armbanduhren, weil die Tochter angeblich in den USA studiert …«
Ritter winkte unwillig ab. »Zur Sache, Hetz! Der Oberstaatsanwalt muss jeden Moment eintreffen. Was also war los mit dieser Kim LaYoung?«
»Sie hat ganz schön rumgezickt. Erst mal an der Bar einem Typen auf die Finger geklopft, der wohl ein wenig gegrapscht hatte. Und kurz vor eins, ich ging grad zur Toilette, hat sie sich am Ausgang mit dem großen Meister
Weitere Kostenlose Bücher