Professor Mittelzwercks Geschöpfe
Johanna Braun, 19 2.9 in Magdeburg, Günter Braun, 1919 in Wismar g e boren – freiberufliche Schriftsteller in Magdeburg –, veröffentlichen seit fünfunddreißig Jahren ihre Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane unter gemeinsamem Namen.
Zu B eginn der 70 er Jahre entwickelten sie ihre eigene literarische Methode, mit der sie bedrückenden Wirklichkeit fertigzuwerden: Sie erzählten phantastisch-parabelhafte Geschichten von totalitären Herrschern, überg e schnappten Bürokraten, rücksichtslos dummen Umweltverderbern, verstu r ten Rüstungsfanatikern und ideologisch verbohrten Gleichschaltern – heiter und ironisch zwar, doch vor düsterem Hintergrund.
Im Roman Der Irrtum des Großen Zauberers (1972 , 1982. erschienen als st 807) und im Erzählungsband Der x-mal vervielfachte Held (1985, 1985 erschienen als st 1137) sagten sie das Scheitern jener Tyrannen voraus, die im Herbst 1989 dann wirklich gescheitert sind.
Das Kugeltranszendentale Vorhaben (st 948), Brauns Roman aus einer Welt totmanipulierter Wörter und sprachlicher Bevormundung durch ein übermächtig scheinendes System, gehört zu ihren Büchern, die für Leser in Honeckers Staat unerreichbar, weil verboten waren.
Professor Mittelzwercks Geschöpfe enthält den kleinen Roman »Con-viva Ludibundus«, in dem das spielerisch-kreative Element mit einem bürokratisch-katastrophalen » Fleißstrebeaufstiegswesen « zusammenstößt. Dazu u. a. Geschichten, die erstmals Lesern in ganz Deutschland vorgestellt werden: die phantastischen Satiren »Stalins Geist«, »Wächter des Doms«, »Mein Boy«, »Der Wunschsohn«. Der essayistische Text »Zu dem berühmten Werk: Sich in Übereinstimmung bringen« (1984) enthält die Anleitung, wie Schriftsteller sich unter einer Diktatur am bequemsten selbst zerstören können.
Brauns erhielten 1969 den Internationalen Kurzgeschichtenpreis der Stadt Neheim-Hüsten, 1969 den Kunstpreis des Bezirkes Magdeburg, 1985 den Phantastikpreis der Stadt Wetzlar, 1988 den Förderpreis zum Liter a turpreis der Stadt Marburg und 1989 den Deutschen Kurzgeschichtenpreis der Stadt Arnsberg.
Redaktion und Beratung: Franz Rottensteiner
Umschlagbild: Tom Breuer
suhrkamp taschenbuch 1813
Erste Auflage 1991
© dieser Zusammenstellung Suhrkamp Verlag
Frankfurt am Main 1991
Quellennachweis für die einzelnen Erzählungen
am Schluß des Bandes
Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das
des öffentlichen Vortrags, der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen
sowie der Übersetzung,
auch einzelner Teile.
Satz: Fotosatz Otto Gutfreund, Darmstadt
Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden
Printed in Germany
Umschlag nach Entwürfen
von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt
1 2 3 4 5 6 – 96 95 94 93 92 91
Conviva Ludibundus
1
Zwar hatte ich es aufgegeben, mich gegen die Unsinnigkeit zu wehren, die darin besteht, einem dazu, daß er geboren wurde und einige Zeit auf der Erde gelebt hat, auch noch zu gratulieren und ihn zu beschenken, aber was die drohenden Kulthandlungen anläßlich meines nahen neunzigsten Geburtstages betraf, dachte ich, es wäre doch vernünftiger, wenn ich selbst etwas schenken, sozusagen einen ausgeben würde. Die Mitmenschen ha t ten meine Anwesenheit nun neunzig Jahre lang ausgehalten, dafür müßten sie gerechterweise entschädigt werden. Vielleicht auch dazu, daß ich so lange bei ihnen war, beglückwünscht. Man müßte sie befeiern, nicht mich.
Sie behaupten ja immer, Professor Philemon hat uns die grünen M u scheln, die berühmten Grünen Medaillons, geschenkt, die Züchtung aus der gemeinen Fließmuschel, die alle für den Menschen des dritten Jahrtausends notwendigen Vitamine, Enzyme und Spurenelemente enthält und die a u ßerdem nicht nur genießbar, sondern ein Hochgenuß ist.
Nun, um es richtigzustellen, geschenkt habe ich sie den Leuten nicht, ich habe damit einen Batzen Geld verdient.
Aber wenn ich ihnen meine Erkenntnisse über die Hintergründe des En t stehens der fabelhaften Muschel offenbaren würde, mein Wissen über den conviva ludibundus, diese merkwürdige Nicht-Mensch-nicht-Fisch-nicht-Pflanze-Lebensform, wäre das schon ein Geschenk, denn ich selber würde kaum noch etwas daran verdienen können. Ich würde meine Kenntnisse vererben, und das
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