Todesfessel - Franken-Krimi
finsterer Miene zupfte Vöhringer an seinen Manschetten. »Das ist doch wirklich allerhand! Bitte vergreifen Sie sich da mal nicht im Ton, Herr Haupt-, äh … Herr Kommissar! Wir haben hier in München weiß Gott schon einiges erreicht! Für Coburg – und für eure gesamte Region da oben!«
»Wir auch, Herr Minister, äh … Herr Staatssekretär«, entgegnete Charly sarkastisch, »wir auch. Glauben Sie nicht?«
Zwei Wochen später
16:10 Uhr – Irgendwo in Franken
»Komm rein«, sagte die Frau unwirsch. Unwillig hielt sie ihm die Tür auf. »Ich hatte dich schon früher erwartet.«
»Ging nicht schneller«, murrte er. »Totalsperrung auf der A73, wieder mal ein Geisterfahrer bei Bad Staffelstein.«
Vorsichtig versuchte er, sich mit seinem riesigen Rucksack und einer prall gefüllten, offenen adidas-Sporttasche an ihr vorbeizuschieben.
»Tritt bitte deine Füße ab! Deine Schuhe sind nass.«
Irritiert blieb er stehen und blickte über seine ausgebeulten, dünnen Jeans hinab zu den ausgetretenen schwarzen Slippern. Wütend öffnete er den Mund – und verzichtete im letzten Moment auf eine Antwort. Wortlos, übertrieben sorgfältig streifte er beide Füße über die schwarz-grau karierte Veloursmatte.
Energisch schritt sie voran, an der Treppe vorbei bis ganz ans Ende des Flurs.
»Hier!« Sie öffnete eine Zimmertür und drehte sich mit einer schnellen, fließenden Bewegung wieder zu ihm um. »Dein Zimmer!«
Es war ihre Stimme, wusste er plötzlich. Immer wieder ihre Stimme. Emotionslos, klar und eisig kalt. Keinen Widerspruch duldend. Genau wie damals. Schlagartig verkrampfte sich sein Magen; er schluckte und spürte, wie ein Frösteln seinen Rücken hochkroch.
Es war ein Fehler, ein unverzeihlicher Fehler: Niemals hätte er zurückkommen dürfen!
Freitag
Neustadt bei Coburg, Wildenheid, 17:14 Uhr
Satisfaction. Sein Klingelton. Charly zuckte kurz zusammen, dann sah er die Nummer.
»Hey, Stadträtin … grad wollt ich das Handy ausschalten, hast Glück gehabt … lang nix mehr gehört, stimmt … was, das ganze Wochenende bist du solo?« Er lächelte gequält. »Sorry … wär natürlich schön gewesen, nur wir zwei … nee, aber dieses Wochenende is definitiv dicht, echt schade … ja, freilich, ich melde mich … wie? Morgen Landestheater, große Wiedereröffnung … ›L’Orfeo‹ von Monteverdi, ah ja … Na, dann mach was draus … Ciao-ciao!«
Er schaltete aus und steckte das Nokia zurück an seinen Gürtel. Nachdenklich ging er den schmalen Kiesweg weiter. Er war erst zweimal hier gewesen, aber für dieses spezielle Date hätte er den Weg auch blind gefunden.
Hinter dem Brunnen links, bei diesem exotischen Zierstrauch dann rechts um die Ecke. Kurz vor der Hecke blieb er stehen.
»Hi«, sagte er leise und klopfte sich eine Lucky Strike aus der Packung. Seine Finger zitterten leicht, als er ein kleines schwarzes Plastikfeuerzeug mit einem fast verblassten goldenen Aufdruck aus der Jacke holte: Oberfrankens größte Laserdiskothek: GALAXIS – 8635 Rödental.
Endlich, beim sechsten oder siebten Klicken sprang doch noch ein Funke heraus. Sofort ein tiefer Zug, dann vergewisserte er sich rasch, dass niemand in der Nähe war, und setzte sich auf die schmale Steinkante zu ihr.
»Hi, Andrea.«
Seine Hand tastete nach ihr, in hoffnungslos verlorener Sehnsucht.
Sie traf auf kalten weißen Stein.
Andrea Herrmann
* 1966 † 2009
Ruhe in Frieden
Ich habe Wort gehalten, dachte er melancholisch und inhalierte tief.
Auch ich bin wieder da.
Heute, an unserem Tag.
Heute vor neunundzwanzig Jahren haben wir uns kennengelernt, an diesem heißen Freitagabend im GALAXIS .
Billie Jean … Blue Monday … China Girl … und unser Lied: Codo aus der Ferne der leuchtenden Sterne …
Hab irgendeine Tussi neben dir nach Feuer gefragt – doch du warst schneller. Mit diesem kleinen Feuerzeug, das wir seitdem nur noch einmal im Jahr benutzten …
Er kniff die Augen zusammen und blies Rauch aus. Rauch, der sich am Grabstein vorbei Richtung Südwest verflüchtigte.
Richtung Haarbrücken.
Andrea aus Haarbrücken.
Schwarze Locken, strahlend grüne Augen, ein umwerfendes Lachen – du schlugst ein wie ein Blitz.
Love at first sight. Le coup de foudre.
Unzertrennlich waren wir. Sind übers Wochenende einmal spontan nach Paris gefahren, nur um einen Kaffee auf dem Eiffelturm zu trinken … 1987 dann die Traumhochzeit … 1989 unser Umzug nach München, als ich ans Polizeipräsidium versetzt wurde … im
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