Einsame Herzen
Prolog
"Wovor hast du Angst, Mäuschen?", flüsterte Darko.
"Das Heulen... es klingt so verloren, so traurig", wisperte Danielle. Sie lauschte den Klagelauten, die ihr durch Mark und Bein gingen. Sie konnte es sich nicht erklären, doch plötzlich spürte sie heisse Tränen auf ihren Wangen. Die Tränen rannen ihr über die Wangen und sickerten in Darkos Hemd.
"Du weinst doch nicht etwa? Das sind nur Wölfe, die den Mond anheulen. Sie stellen keine Gefahr dar für dich und die Kinder, Danielle. Sie tun nur, was Wölfe tun."
Danielles Gefühle überrumpelten sie. Sie konnte sie nicht mehr länger unter Kontrolle halten und begann, leise zu schluchzen. "Ich weiss", stammelte sie, doch ihre Worte klangen alles andere als überzeugt.
"Sch", murmelte Darko. "Ganz ruhig, Kleines. Ganz ruhig."
Er streichelte ihr sanft über den Rücken und murmelte beruhigende Worte in ihr Ohr. Danielle hielt ihn zitternd umklammert. Erst als das Heulen allmählich schwächer wurde, beruhigte sie sich wieder. Schliesslich verstummten die Wölfe gänzlich. Darko hielt Danielle fest, bis ihr letzter Schluchzer verklungen war. Langsam hob sie den Kopf, blickte aus tränennassen Augen zu ihm auf. "Es... es tut mir so leid", stammelte sie. "Ich... ich weiss nicht, was über mich gekommen ist."
"Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen", sagte er rau.
Stumm musterten sie sich, bis Danielle sich schliesslich vorsichtig, aber bestimmt aus Darkos Umarmung löste. Langsam gab er sie frei.
Danielle trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. "Wie albern von mir", murmelte sie beschämt.
"Tränen sind nie albern." Darko sah Danielle bedeutungsvoll an. "Sie fliessen nie ohne Grund."
Danielle blinzelte, einerseits um ihre Tränen zu vertreiben, anderseits aus Verlegenheit.
"Tränen", fuhr Darko dunkel fort, "sind auch ein Mittel der Kommunikation."
Als er einen Schritt auf sie zutrat und sie durchdringend musterte, wich Danielle instinktiv zurück. Darko trat unbeirrt auf sie zu. Sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stiess. Erschrocken keuchte sie auf.
Darko legte seine Hände neben ihre Schultern an die Wand. Danielle konnte seine Körperwärme spüren, als er so dicht vor ihr stand, dass er sie beinahe berührte. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können.
"Weisst du, welchen Wunsch weibliche Tränen bei einem Mann auslösen?"
Danielles Augen weiteten sich, blickten Darko fragend und ungläubig zugleich an.
"Den Wunsch, einer Frau Trost und Geborgenheit zu schenken."
Danielle blinzelte.
"Doch nicht nur das", fuhr Darko mit kehliger Stimme fort. "Die Tränen einer Frau betonen ihre Weiblichkeit, ihre Verletzlichkeit. Sie führen einem Mann seine Stärke nur allzu deutlich vor Augen. Weibliche Tränen lassen ihn sich kräftig und viril fühlen und wecken ihn ihm den Wunsch, seine Stärke zu teilen. Er möchte seine Angebetete seine Kraft spüren lassen, möchte ihr einen Teil von sich geben."
Danielle keuchte leise auf. Ihre Brust hob und senkte sich schwer, als sie flüsternd einwandte: "Ich weiss nicht, ob das für alle Männer gilt."
Darko umfing ihren Hals mit der Hand. "Es gilt für mich, Danielle. Es gilt für mich."
Kapitel 1
Danielle stand am Kochherd, die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt, während sie aus dem Fenster ins Schneegestöber blickte. Den Kartoffeleintopf, der auf dem Herd köchelte, hatte sie völlig vergessen. Ihre Gedanken kreisten unentwegt um ihre Vorräte. Danielle ging stets von neuem durch, welche Esswaren sich noch in der Vorratskammer befanden, erstellte in Gedanken eine Liste mit den verbliebenen Vorräten und wiederholte diese unablässig Punkt für Punkt, als würde sie durch Repetition an Länge gewinnen. Das Problem aber war, dass Danielles mentale Liste sehr kurz war. Viel zu kurz, um sie und ihre beiden Töchter durch die Wintermonate zu bringen.
Danielle starrte den fallenden Schnee feindselig an. Die Schneeflocken liessen sich von ihrer Missgunst jedoch nicht beeindrucken. Sie tanzten munter weiter, wie in den vergangenen Novemberwochen.
Danielle stützte sich mit den Händen auf der Anrichte ab, lehnte sich leicht nach vorn, als würde sie von einer schweren Last gebeugt, und schloss resigniert die Augen.
Wie hatte sie nur so dumm sein können! Wie hatte sie bloss so unüberlegt handeln können, so naiv, so blauäugig. Als sie anfangs November wie jeden Monat nach Domens gefahren war, um sich für die kommenden vier
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