Töchter des Schweigens
zurückkehren und wieder ernsthaft an all das denken müssen, was sie dort erwartet und was noch zu erledigen ist, bevor sie sich in Valencia niederlassen können: einen Studienplatz beantragen, ein Studentenwohnheim suchen und sich auf die Aufnahmeprüfung Anfang September vorbereiten.
Jetzt ist jetzt, und solange es Musik gibt und Ausländer zum Tanzen und Cuba Libre und Zigaretten und Palmen und Meer und Sommernacht, ist alles andere egal.
Soeben sind die Jungen hereingekommen, zusammen mit Don Telmo und Doña Loles, doch – mit Ausnahme von César, der sofort auf Magda zusteuert, und Manolo, der sich anschickt, Marga in den Garten zu entführen, weil er hofft, sie würde sich nach ihrem Zornausbruch, den er immer noch für einen kindischen Rappel hält, wieder mit ihm versöhnen – fordern sie alle Skandinavierinnen zum Tanzen auf, die eindeutig älter sind als sie, und haben für ihre Schulkameradinnen nur ein knappes Nicken, wenn sie sich auf der Tanzfläche begegnen.
Der Direktor und seine Frau betreten die Diskothek gar nicht erst, sondern holen sich an der Bar etwas zu trinken, nehmen die Gläser mit in den Garten und setzen sich an den Pool. Javier und Marisa nähern sich ihrem Tisch, merken aber sofort, dass die beiden keine Lust auf eine lockere Plauderei über allgemeine Themen haben, und unter dem Vorwand, ein Auge auf die Jugendlichen zu werfen, gehen sie wieder hinein.
In der Diskothek hat sich Manolo nach einem Gespräch von Mann zu Mann mit Chimo entschlossen, den Rat seines Freundes in die Tat umzusetzen – »Nichts stinkt einer Tussi mehr, als zu sehen, wie du dich vor ihrer Nase an eine andere ranmachst« –, und tanzt mit einer mageren, kessen Blonden, doch sieht es im Moment ganz so aus, als sei es Marga völlig schnurz, was er tut. Als er nach einer Weile den Kopf wieder vom Hals der Schwedin hebt, sind Marga und Candela vom Tisch verschwunden.
César und Magda tanzen eng umschlungen neben einer Säule, wo es ziemlich dunkel ist. Sie hat die Augen geschlossen und lächelt unaufhörlich, als sei sie im siebten Himmel.
Carmen, die mit einem großen, plumpen Kerl tanzt, sieht immer wieder Manolo an, als wolle sie ihn ermuntern, sich endlich zu entscheiden. Ana ist eine Weile mit Tere und Sole herumgesprungen, doch als die langsamen Stücke begonnen haben, ist sie hinausgegangen, um frische Luft zu schnappen. Tere tanzt jetzt mit einem hochgewachsenen, ernsten Jungen, und sie reden die ganze Zeit.
Über die Schulter der Schwedin sieht Manolo, wie Mati auf Sole zugeht, die schon mehrere Tänzer abgewiesen hat, und mit ihr den Saal verlässt. Er weiß nicht recht, wie er sich verhalten soll. Einerseits ist die Ausländerin überaus bereit, sich alles Mögliche gefallen zu lassen, das spürt er an der Art, wie sie sich an ihn schmiegt, ohne seinem Bein auszuweichen, das er ihr zwischen die Schenkel drängt, um zu prüfen, ob sie nachgeben. Allmählich ist er überzeugt, dass sie auf Anhieb Ja sagen wird, wenn er ihr vorschlägt, mit ihr aufs Zimmer zu gehen, und er weiß, dass er sich dann beeilen muss, nicht dass Don Telmo mittendrin zum Aufbruch bläst. Andererseits, vielleicht weil die Schwedin es ihm so leicht macht oder weil er, auch wenn er sich das nicht eingestehen will, ein bisschen Angst hat, ist er nicht sicher, ob er mit einer Unbekannten so weit gehen will. Und er muss wissen, was Marga macht, wo, mit wem.
Noch bevor er zu einer Entscheidung gelangt ist, fällt sein Blick auf eine Frau, die gerade die Diskothek betreten hat, und obwohl sie absolut nicht sein Typ ist, kann er den Blick nicht von ihr wenden. Sie ist sehr groß, hat eine Mannequinfigur und langes, glattes, schwarzes Haar. Sie ist stark geschminkt wie für einen Bühnenauftritt und trägt einen hautengen weißen Overall, unter dem sich ihre Brüste und sogar das Dreieck zwischen ihren Lenden abzeichnen. Die Hosenbeine des Overalls sind hoch geschlitzt und zeigen bei jedem Schritt ihre langen goldbraunen Beine. Sie ist die aufregendste Frau, die er außerhalb der Kinoleinwand je gesehen hat, und alle Männer im Saal drehen sich nach ihr um, während sie gleichmütig die Tanzfläche überquert, als sei sie ohne besonderen Eifer auf der Suche nach etwas.
César, der mit geschlossenen Augen tanzt, Magdas Körper spürt und den Pfirsichduft ihres Shampoos einatmet, öffnet plötzlich die Augen und begegnet dem Blick der Frau, die ihn auffordernd anlächelt. Ohne es sich zweimal zu überlegen, lässt er Magda los und
Weitere Kostenlose Bücher