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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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während er im Geist viele seiner eigenen vergangenen Romanzen oder Beinaheromanzen vor sich sah. Er war zu beschäftigt gewesen, zu ehrgeizig, um sich die Zeit zu nehmen, die notwendig gewesen wäre, um eine solche Bekanntschaft zu einer dauerhaften Beziehung auszuweiten. Diese Dinge konnte er ohne weiteres verstehen. Aber er war niemals so rücksichtslos oder so naiv gewesen zuzulassen, dass es zu irgendwelchen Missverständ nissen kam. Keine noch so erfolgssüchtige Möchtegernschwiegermutter hatte seine Absichten falsch gedeutet.
    »Ja, das Gesetz ist eine harte Lehrmeisterin, Mr. Melville« , pflichtete er ihm bei. »Man braucht sowohl Phantasie als auch Detailkenntnis, wenn man Erfolg haben will. Und man muss ein guter Menschenkenner sein. Ich glaube nicht, dass Sie mir in dieser Angelegenheit die ganze Wahrheit sagen.«
    Er sah, wie Melvilles Gesicht starr und bleich wurde.
    »Viele Männer sind nicht unbedingt verliebt in die Frau, die sie heiraten«, fuhr er fort, »finden die Verbindung aber dennoch ganz erträglich. Und es gibt noch mehr junge Frauen, die eine Ehe finanzieller oder familiärer Interessen wegen akzeptieren.
    Wenn die betreffende Person ehrlich, freundlich und körperlich nicht abstoßend ist, lernen die Ehepartner einander sehr häufig zu lieben. Bisweilen ist eine solche Verbindung glücklicher als eine, die man aus Leidenschaft geschlossen hat, die auf Träumen fußt und dann vergeht, wenn der erste Hunger gestillt ist. Wenn keine Freundschaft da ist, die der Ehe Nahrung geben könnte oder sie durch die späteren Zeiten trägt.« Noch während er das sagte, wusste er, dass das der Wahrheit entsprach, und doch hätte er selbst eine solche Verbindung nicht eingehen wollen.
    Melville wandte den Blick ab. »Ich bin mir über all das im Klaren, Sir Oliver, und ich leugne es nicht. Ich bin nicht bereit, Zillah Lambert zu heiraten, um den Ehrgeiz ihrer Mutter zu befriedigen oder herauszufinden, was sie sich von einem Ehemann wünscht.« Er erhob sich ziemlich steif. »Und auch wenn ich Barton Lambert für seine Hilfe von Herzen dankbar bin, geht meine Verpflichtung ihm gegenüber doch nicht so weit, dass ich mein persönliches Glück oder meinen Seelenfrieden dafür opfern würde.«
    Rathbone wollte Melville noch einmal fragen, was er vor ihm verberge, aber dessen Gesichtsausdruck hielt ihn davon ab. Vielleicht würde der junge Mann seine Meinung ändern, wenn die Lamberts ihn tatsächlich verklagten. Bis dahin beruhte die ganze Angelegenheit ohnehin auf Spekulationen, und er war mehr und mehr davon überzeugt, dass es besser wäre, die Finger davon zu lassen. Melville konnte nicht gewinnen. Und offen gesagt fand Rathbone sein Verhalten ein wenig melodramatisch. Schließlich war eine solche Ehe das, was einem Großteil der Menschheit widerfuhr und alles in allem nicht so schlimm.
    »Dann sollten Sie besser abwarten, wie die Dinge sich entwickeln, Mr. Melville«, sagte er laut. »Vielleicht können Sie die Situation Miss Lambert selbst erklären und ihr die Gelegenheit geben, die Verlobung zu lösen, und zwar aus einem Grund, über den Sie sich beide einig sind und der keinen Schatten auf den Ruf der jungen Dame wirft. Möglicherweise ließe sich dann eine so hässliche und kostspielige Angelegenheit wie ein Gerichtsprozess vermeiden. Und Ihre Beziehung zu Mr. Lambert würde weit weniger darunter leiden. Ich nehme an, Sie haben diese Möglichkeit bereits erwogen? Falls Sie Ihr Versprechen Miss Lambert gegenüber brechen, können Sie in Zukunft kaum mehr mit seiner Hilfe rechnen.«
    »Natürlich habe ich das in Erwägung gezogen!«, antwortete Melville voller Bitterkeit. Er stand inzwischen an der Tür. »Ich kann nicht gewinnen! Es ist lediglich eine Frage, wie viel ich verliere. Aber ich bin nicht bereit zu heiraten, um meine berufliche Karriere zu beschleunigen.« Er sah Rathbone voller Verachtung an, aber darunter lag so etwas wie tiefe Furcht und ein Schimmer von Hoffnung. »Ich bin ein sehr guter Architekt, Sir Oliver«, fügte er leise hinzu. »Manch einer hält mich sogar für genial. Ich sollte es nicht nötig haben, mich zu prostituieren, um an Aufträge zu kommen.« Diese Worte ließen Rathbone zusammenzucken. Es wurde ihm mit einem Mal bewusst, dass er halb und halb die Absicht gehabt hatte, Melville zu beleidigen, ohne auch nur das Geringste über dessen berufliche Fähigkeiten oder seine persönliche Situation zu wissen, abgesehen von diesem einen Problem. Es gab zahlreiche

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