Toedliches Erbe
Nachlaßverwalter muß ich hin. Als Mensch jedoch bin ich zu feige, allein zu gehen. Ich brauche Sie sehr, und dahinter steckt meinerseits mehr Bewunderung als Leidenschaft. Würden Sie mitkommen? Jetzt gleich? Wir könnten die Nacht in einem ruhigen, zivilisierten Gasthaus in einer netten Stadt an der Küste verbringen, wenn Sie mir die Ehre erweisen.«
»Angenommen, diese Jeans und dieses riesige, männliche, un-passende Hemd wären meine einzigen Kleidungsstücke?«
»So leicht entwischen Sie mir nicht«, sagte Max. »Außerdem haben Sie vergessen, daß ich Ihre Erziehung kenne. Sie haben zumindest einen eleganten Hosenanzug in dem Schrank dort. Kate, meine Liebe, Sie sind dabei, sich meiner ewigen Dankbarkeit zu versichern.
Ich werde Ihnen von Cartier ein herrliches Geschenk schicken lassen und mein Leben lang darauf warten, Ihnen eine ähnlich wunderbare Gefälligkeit erweisen zu können.«
»Sie können gleich damit anfangen«, sagte Kate, »indem Sie draußen rauchen, damit Ihnen das Rotwerden erspart bleibt. Ich habe nämlich nicht vor, meinen eleganten Hosenanzug im Badezimmer anzuziehen. Können Sie Auto fahren?«
»Leider nein«, sagte Max und begab sich mit einer Verbeugung nach draußen, als verlasse er einen Edwardianischen Salon in Bel-gravia. »Aber während Sie fahren, werde ich Ihnen mit Geschichten über Cecily die Zeit vertreiben.«
»Auch Cecily Hutchins, die berühmte Schriftstellerin, wollte allein sein«, sagte Max, während sie den Massachusetts Turnpike ansteuerten. »Ich glaube, wenn ich meine Vorstellungskraft ein wenig bemühe, kann ich das verstehen. Der Wunsch nach Einsamkeit ist begreiflich; sie hat allerdings verheerende Auswirkungen auf die Konversation: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß Einzelgänger 13
buchstäblich überlaufen, wenn man ihnen begegnet? Ihr Redestrom will nicht enden. So groß ist der Druck der vielen Ideen, die sie so lange nicht loswerden konnten.«
»Das ist der Nachteil eines wirklich einsamen Landlebens«, sagte Kate, »aber damit habe ich ja nichts zu tun, wie Sie bemerkt haben werden. Jedenfalls nicht ständig. Ich verliere mich im hohen Gras und Dickicht nur gelegentlich am Wochenende und in den Semester-ferien. Aber ich weiß, was Sie meinen. Natürlich kann jemand, der den Tag über mit vielen Leuten zu tun hat, an den Abenden und Wochenenden das Schweigen genießen, sich besinnen, Erfahrenes wiederentdecken, wenn er die Gabe hat, das Alleinsein zu schätzen.
Das ist, hoffe ich, meine Art. Aber für die, die den ganzen Tag allein sind – wie es Cecily offenbar war –, könnte daraus ein Problem werden.«
»Natürlich gibt es Nachbarn, aber sie leben meistens in einer gewissen Entfernung und sind, eine Folge unserer Automobilkultur, nur per Wagen erreichbar.«
»Das könnten meine Worte sein. Aber eben diese Automobilkultur, wie Sie es nennen, bringt Sie in diesem Augenblick genau dorthin, wo Sie hinwollen.«
»Nur, weil es hier keine Züge gibt. Stellen Sie sich vor, wir hätten ein Abteil für uns, man servierte uns Tee oder Champagner, und wir schauten hinaus in die vorbeifliegende Landschaft, während die Räder dazu ihr beruhigendes Klick-Klack ratterten. Keine Frage, ich bin hundert Jahre zu spät geboren, in eine Zeit hinein, die alles zerstört, was mir etwas hätte bedeuten können.«
»Hat Cecily auch so empfunden? In dem Fall wäre es schon merkwürdig, daß sie überhaupt nach Amerika gekommen ist.«
»In Cecilys Leben gab es zwei Leidenschaften: Die eine galt Ricardo, ihrem Mann – es gehörte zu ihren besonders exzentrischen Einfällen, daß sie ihn stets beim Nachnamen rief –, die andere war das Meer. Nach Ricardos Tod blieb ihr nur noch das Meer. Ihr Haus liegt nicht direkt am Strand, wie die meisten in der Gegend. Es liegt etwas geschützt hinter einer Wiese. Man kann das Meer von den Fenstern aus sehen, nicht aber die felsige Küste. Man muß die Wiese überqueren, wenn man den Wellen zuschauen will, die unerbittlich gegen die Felsen schlagen. Durch ihre Wiese«, fügte Max mit einer gewissen Strenge hinzu, »führte stets ein kurzgemähter, ordentlicher Weg, von der Tür bis zum Meer. Sie konnte ohne das Meer nicht leben, aber sie sagte, wie in einer guten Ehe brauche man beides: 14
Abstand und Nähe.«
»Ein Hoch auf Cecily. Warum haben Sie mir erst jetzt, da sie tot ist, erzählt, daß Sie sie kannten?«
»Ja, warum? Ich habe sie nur selten gesehen. Sie hatte in den letzten Jahren etwas von einer
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