Tödliches Rätsel
und unterhielten sich leise; sie ignorierten ihren Vorgesetzten fast. Lesures begab sich achselzuckend zu dem Tisch, auf dem ihre Becher standen. Er hob den Krug Malvasier, nahm das Leintuch herunter, das ihn bedeckte, und füllte die Becher. Jeder Schreiber nahm den Becher, der mit dem Initial seines Familiennamens gekennzeichnet war, und sie tranken mit beifälligen Mienen und genußvoll das schwere, honigsüße Getränk. Lesures jedoch kam sich an diesem Abend wie ein Fremder vor. Sie warfen ihm Seitenblicke zu, und er sah, daß sie sich wünschten, er wäre nicht zugegen.
»Sollten wir bei den Beerdigungen dabei sein?« fragte er.
»Chapler war nur ein Bekannter«, antwortete Alcest, »kein Freund. Ich mag Southwark nicht, und ich möchte mich von Bruder Athelstan und diesem betrunkenen Coroner fernhalten.«
»Und Peslep?« fragte Lesures.
»Der wird vermutlich in St. Mary Le Bow bestattet werden«, sagte Napham. »Wir werden einen Priester dafür bezahlen, daß er die Totenmesse liest, und dann schauen wir zu, wie der Leichnam ins Grab geworfen wird.«
»Ihr seid ziemlich hart«, stammelte Lesures.
»Peslep hätte es so gewollt«, sagte Elflain. »Ich glaube nicht, daß er an Gott geglaubt hat. Warum also sollten wir bei seinem Tod plötzlich pietätvoll werden, wo er im Leben niemals pietätvoll war?«
Lesures wollte Einwände erheben, als Ollerton rückwärts taumelte. Der Becher fiel ihm aus der Hand, und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Seine Hände krallten sich in Kehle und Magen.
»Oh mein Gott«, keuchte er. »Oh Himmel und alle…« Er fiel auf die Knie.
Seine Gefährten stürzten herbei, um ihm zu helfen, aber Ollerton, der heftige Schmerzen litt, machte eine abwehrende Handbewegung, bevor er mit dem Gesicht voran auf den Boden schlug. Dort wand er sich in Todesqualen. Alcest gelang es, ihn festzuhalten, indem er ihn unter den Schultern packte. Während die anderen ringsherum wild durcheinander schrien, konnte er nur versuchen, die wilden Zuckungen, die seinen Freund schüttelten, zu bekämpfen. Ollerton verlor bereits das Bewußtsein. Seine Augen verdrehten sich in den Höhlen, der Mund klappte auf, die Kiefermuskeln spannten sich, und ein langer Speichelfaden hing an seinem Kinn. Er schloß die Augen und hustete, und sein Körper begann erneut zu zittern. Plötzlich erstarrte er und wurde dann schlaff; der Kopf kippte zur Seite, und Mund und Augen standen halb offen. Alcest ließ ihn behutsam zu Boden sinken. Die anderen starrten ihn von Entsetzen gepackt an.
»Nicht trinken«, flüsterte Elflain und stellte seinen eigenen Becher wieder auf den Tisch.
»Ein Schlaganfall?« fragte Lesures.
»Ein Schlaganfall!« höhnte Alcest. Er drehte Ollertons Gesicht herum. Es war jetzt grausig weiß, und dunkle Ringe umgaben die starren Augen. »Das ist kein coup de sang. Ollerton wurde vergiftet.«
Er hob den zu Boden gefallenen Becher auf, dessen Inhalt mittlerweile zwischen den Dielen versickert war, und schnupperte daran, aber ihm war klar, daß der süße Honiggeruch jedes Gift überdecken konnte.
Er wandte sich dem Krug zu.
»Ihr habt doch den Wein eingeschenkt, Lesures.«
»Ich…« Der Dokumentenmeister hob erschrocken die Hände. »Wir sollten nach einem Arzt schicken«, klagte er.
Alcest verzog höhnisch das Gesicht. »Nur, wenn Ihr einen kennt, der Tote wieder zum Leben erwecken kann, Master Lesures — sonst wäre ein Priester wohl besser. Einer der braven Brüder von St. Bartholomew’s? Ich wäre Euch dankbar.«
Lesures verstand den Hinweis und floh. Als die Tür sich hinter ihm verschlossen hatte, versammelten sich die übrigen um den Toten.
»Jetzt sind es drei!« flüsterte Napham. »Drei Tote.«
Alcest durchwühlte bereits die Taschen und die Börse des Toten.
»Muß das sein?«
»Ja, es muß sein«, knurrte Alcest. »Und heute abend, bevor der naseweise Coroner kommt, durchsuchen wir Ollertons Kammer.«
Er hielt inne, als er Schritte auf der Treppe hörte. Lesures kam wieder herein und hatte ein Stück Pergament in der Hand, das er Alcest entgegenhielt. Der Schreiber las das Rätsel vor, das darauf gekritzelt war.
»>Mein zweiter sitzt in der Mitte der Not und ist Inhalt des Grauens. <« Er schaute seinen Kollegen an. »Wir werden gejagt«, stellte er fest. »Ollertons Tod wird nicht der letzte gewesen sein!«
Athelstan stand hoch oben auf dem Kirchturm von St. Erconwald und schaute durch ein mächtiges Teleskop. Bonaventura sprach mit ihm, aber unten rief
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