Tödliches Rendezvous - Maxian, B: Tödliches Rendezvous
sie das Gespräch lenken sollte.
» Sie setzen einen fingierten Dieb ein, also einen Hausdetektiv oder sonst wen. Der spielt dann sozusagen den Dieb. Kommt ab und zu ins Geschäft, kauft ein, und irgendwann einmal stiehlt er etwas. Sie übersehen es und …« Sie runzelte die Stirn. » Kurz danach werden Sie ins Büro gerufen. Frau Bender, es tut uns leid, Ihnen sagen zu müssen … bla bla bla.« Ihre Stimme hob sich am Ende des Satzes, klang wie eine Melodie, verließ die Lage und klang wieder ernst wie zuvor. » Die Drecksarbeit ließ Freudmann immer seinen Neffen erledigen. Der Pöbel …«, sie zeigte auf sich, » … also wir, sahen Bernhard Freudmann natürlich nur zu besonderen Anlässen. Weihnachtsfeiern oder Jubiläumsfeste. Und auch da nur kurz. So wie einen Popstar am Fenster seines Hotels. Ganz kurz, hinter Gardinen. Wissen Sie … wie hieß doch der, der seine Kinder aus dem Fenster gehalten hat? Der, der jetzt auch schon tot ist …« Erneutes Schnäuzen. Sarah hoffte, sich nicht anzustecken. Eine Erkältung konnte sie im Moment gar nicht brauchen.
» Sie meinen Michael Jackson.«
» Genau. Michael Jackson.« Sie hielt Sarah einen Teller mit Marmorgugelhupf hin. » Nehmen Sie doch bitte.« Sarah nahm ein Stück, biss ab. Jetzt erst fiel ihr auf, dass sie noch nichts gegessen hatte.
» Das Büro liegt im obersten Stockwerk des Kaufhauses. Wer will, kann sich nach der Kündigung gleich vom Dach stürzen. Das hat Wallner mal zu unserer Betriebsrätin gesagt. Nicht direkt, eher so unterschwellig. Er meinte, dass der Blick vom Dach des Kaufhauses sehr schön sei, und wenn man den Kopf reckt, kann man sogar den Volksgarten sehen. Arschloch.« Sie errötete, legte die Handfläche auf ihre Lippen. » Entschuldigen Sie.«
» Kein Problem.«
Sie machte eine Pause, schloss die Augen und seufzte. » Irgendwann ist dann eine von uns gesprungen.«
Sarah horchte auf. War das die Geschichte, nach der sie gesucht hatte?
» Nicht vom Dach des Kaufhauses.« Sabine Bender schluckte. » Brigitte sprang aus dem Fenster ihrer Wohnung. Sechster Stock.« Sie tupfte mit der Serviette Tränen aus den Augenwinkeln. » Vor einem halben Jahr.« Sie fuhr sich mit einer plötzlichen Handbewegung durch die Haare.
» Aber nein!«, entfuhr es Sarah. » Eine Kündigung ist doch kein Grund, sich das Leben zu nehmen.«
Sabine Benders mildes Lächeln erreichte nicht ihre Augen. » Natürlich nicht, wenn man 28 ist, aber mit 53 kann es ein Grund werden. Obwohl, das habe ich auch Ihrer Kollegin gesagt, Brigitte war nicht der Typ für Selbstmord. Gut, sie war geschieden, lebte allein, aber da war ja noch …« Sie unterbrach sich. » Sie hatte eine Tochter. Man bringt sich doch nicht um, wenn man ein Kind hat.«
» Meinen Sie?« Sarah wollte ihr nicht widersprechen oder ihr erklären, dass Menschen, die sich das Leben nehmen, sich in einem Ausnahmezustand befinden. Depressionen stießen manche in ein großes schwarzes Loch, das rationales Denken und Handeln unmöglich machte.
» Ja, das meine ich«, antwortete Sabine Bender langsam. Sie wischte unsichtbare Brösel vom Tisch. » Wissen Sie, wie schwer es da draußen auf dem freien Markt ist ab einem gewissen Alter? Die Chance, einen Job zu bekommen, ist gleich null.«
» Haben Sie denn den Dieb nicht bemerkt?«, fragte Sarah.
» Welchen Dieb?« Sabine Bender war mit ihren Gedanken völlig abgeschweift.
» Den, der die Ware gestohlen hat. Der Grund für Ihre Entlassung.«
» Nein, den habe ich nicht gesehen. Wissen Sie, was grotesk ist? Da arbeiten Sie fast zehn Jahre für ein Unternehmen, Sie identifizieren sich damit. Die Firma ist irgendwann nicht nur ein Teil Ihres Lebens, sondern ein Teil Ihrer Familie. Und dann … gekündigt wegen einer Suppenschüssel und zwei Desserttellern! Gut. Es war jetzt nicht unbedingt die billigste Ware. Das Geschirr war aus der Serie Thomas von Rosenthal und ein Champagnerglas von Ritzenhof. Aber man kann ja nicht immer und überall sein«, versuchte Sabine Bender zu erklären. » So ein Kaufhaus ist doch versichert.«
» Glaub ich auch«, sagte Sarah.
» Es tut mir leid.« Sabine Bender stand auf, reichte der Journalistin die Hand. Was war jetzt los? Instinktiv schlug Sarah ein und dachte an Bakterien.
» Das war’s!«, sagte die ehemalige Verkäuferin. » Ein Handschlag nach fast zehn Jahren.« Sabine Bender setzte sich wieder hin. » Das Gespräch mit Wallner hat nicht länger als zehn Minuten gedauert, in denen eigentlich nur Wallner
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