Tortenschlacht
hier die Luft besser. Und wir sind allein.
»Toll gemacht!« Wütend und mit tränenden Augen sehe ich Siggi an. »Das mit der Pistole war grandios! Jetzt haben die sogar ‘ne richtige Waffe!«
»Die haben sowieso Waffen«, knurrt Siggi und ruckelt an seinen Fesseln. »So wie die drauf sind, schrecken die vor nichts zurück!«
»Wir würdet ihr denn reagieren, wenn man eure Wohnung stürmt?« Melanie bringt Wasser und frische feuchte Tücher. »Hier! Draußen geht’s jetzt erst richtig los!«
»Melanie, komm zu dir«, barme ich, »ihr habt null Chance! Gebt auf!«
»Das entscheide ich nicht«, erwidert sie und setzt mir eine Bierflasche an die Lippen. »Trink erst mal was!« Sie sieht Siggi feindselig an. »Was macht die dumme Stasisocke hier?«
»Hat sich aufgedrängt«, antworte ich zwischen den Schlucken, »wie immer!«
»Auch ich mache mir nur Sorgen, Melanie«, tönt Siggi mit väterlichem Tremolo in der Stimme. »Vor allem um dich!«
»Machste mir die Fesseln los?«, bitte ich.
Aber Melanie, meine Tochter, mein eigen Fleisch und Blut, schüttelt den Kopf! Ich fasse es nicht.
»Ich bin dein Vater!«
»Ich auch!«, ruft Siggi.
»Tut mir leid, Männer.« Melanie bleibt hart. »Aber solange ihr nur Unsinn macht, kann ich euch nicht losbinden.«
»Was soll das? Sind wir Gefangene der ›Autonomen Republik‹, oder was?« Ich bin außer mir. »Du wirst uns sofort diese verdammten Stricke abnehmen, sonst …«
»Lass gut sein, Vati.« Melanie lächelt mich traurig an und streicht mir sanft über die Wange. »Wir werden das später ausdiskutieren, okay? Spätestens morgen früh ist hier sowieso alles vorbei.« Sie lässt uns wieder allein.
»Melanie«, brülle ich ihr nach, »verdammt, MELANIE!!! «
»Wenigstens ist sie realistisch.« Siggi ruckelt weiter an seinen Fesseln. »Ich frag mich nur, warum sie das alles mitmacht?«
»Die ist völlig durchgedreht«, vermute ich.
»Oder verliebt.« Siggi ächzt. »Also wenn ich so weitermache, kriege ich die Stricke ab. Warte mal!«
»Achtung! Achtung! Hier spricht die Polizei«, donnert es gedämpft von draußen über den Platz. »Die Häuser sind zu räumen und den Beamten zugänglich zu machen. Ich wiederhole: Räumen Sie unverzüglich die Häuser!«
Ich würde ja, aber ich kann nicht. Im Gegensatz zu Siggi krieg ich meine Fesseln nicht los.
»Du musst die Handgelenke gegeneinanderdrehen. – Ah!« Er hat’s, nimmt die Hände nach vorn und streift sich den restlichen Strick ab. »Siehste, so!«
»Ich bin nicht Houdini«, erwidere ich. »Mach mich los!«
Siggi kommt zu mir und knotet meine Hände frei. Endlich. Meine Finger sind schon ganz taub.
Draußen donnert der Polizeihubschrauber. Wieder fordert die Polizei, die Häuser unverzüglich zu räumen.
»Und jetzt?« Ich starre Siggi erschöpft an. Was passiert jetzt? Sollen wir Melanie suchen und zusehen, dass wir sie hier irgendwie rausbekommen? Das scheint zwecklos zu sein. Wir sind umstellt von fanatischen Hausbesetzern. »Die sind einfach in der Mehrheit.«
»Abwarten«, erwidert Siggi. »Manchmal entwickeln sich die Dinge von selbst. Wichtig ist, dass wir handlungsfähig sind, wenn es darauf ankommt.«
Ich biete ihm eine Zigarette an. »Hier!«
»Danke.« Wir rauchen und warten. Auf dem Helmholtzplatz tobt die Straßenschlacht. Ein Räumpanzer brüllt auf und kracht brutal gegen das Tor.
Irgendwo im Haus kreischen ein paar Mädchen, Kinder fangen an zu plärren, hektische Rufe: »Hierher! Shit, die kommen über die Dächer!«
»Erinnerst du dich an Rosemarie?«, frage ich nach einer Weile.
»Was?« Siggi starrt mich an.
»Das hast du geschrieben, stimmt’s?« Ich drücke meine Kippe aus. »Diese Akte über Werner von Lahn, von der du mir im ›Kleisther‹ erzählt hast: Die hast du einem Typen während der Besetzung der Stasizentrale abgenommen.«
»Er hat sie wiederbekommen. Ich habe mir nur Kopien gemacht«, antwortet Siggi. »Warum fragst du?«
»Weil du mit diesen Kopien Werner von Lahn erpresst hast«, antworte ich. »› Erinnerst du dich an Rosemarie ‹, hübsch getippt auf einer Erika-Schreibmaschine.«
»Du bist wirklich ein guter Ermittler, Dieter«, Siggi lächelt mich an. »Aber kannst du das auch beweisen?«
»Du wolltest ihn unter Druck setzen«, fahre ich fort, »weichklopfen, wie du es nennst, um günstig an diese Häuser hier zu kommen.«
»Nicht nur«, antwortet Siggi, »ich muss auch an meine Kameraden denken, Dieter. Jetzt mit der Einheit kommt die
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