Totengrund
der Saal wie der Garten Eden selbst wirkte, duftend und von leuchtenden Farben erfüllt. Das Licht der Morgensonne fiel durch die runden Fenster, während zweihundert freudige Stimmen Lobeshymnen sangen.
Wir sind dein, o Herr. Fruchtbar ist deine Herde und reichlich deine Ernte.
Die Stimmen verhallten, und die Orgel spielte plötzlich eine Fanfare. Die ganze Gemeinde drehte sich zu Katie Sheldon um, die wie erstarrt im Eingang stand und verwirrt blinzelte angesichts all der Augenpaare, die auf sie gerichtet waren. Sie trug das mit Spitzen besetzte weiße Kleid, das ihre Mutter genäht hatte, und ihre nagelneuen weißen Satinschühchen lugten unter dem Saum hervor. Auf dem Kopf trug sie den Jungfernkranz aus weißen Rosen. Die Orgel spielte weiter, die Gemeinde wartete gespannt, aber Katie konnte – nein, sie wollte sich nicht von der Stelle rühren.
Es war ihr Vater, der sie zwang, den ersten Schritt zu tun. Er nahm ihren Arm, und seine Finger, die sich in ihr Fleisch gruben, waren wie ein unmissverständlicher Befehl. Wage es nicht, mich zu blamieren!
Sie setzte sich in Bewegung. Ihre Füße fühlten sich taub an in den hübschen Seidenschühchen, als sie auf den Altar zuschritt, der am Ende des Gangs aufragte. Auf den Mann, den Gott der Herr selbst zu ihrem Ehemann erkoren hatte.
In den Bankreihen erblickte sie vertraute Gesichter: ihre Lehrer, ihre Freundinnen, ihre Nachbarn. Da war Schwester Diane, die mit ihrer Mutter in der Backstube arbeitete, und Bruder Raymond, der sich um die Kühe kümmerte, deren weiche Flanken sie so gerne streichelte. Und da war ihre Mutter. Sie stand in der vordersten Reihe, wo sie noch nie zuvor gestanden hatte. Es war ein Ehrenplatz, eine Bank, die nur einigen auserwählten Gemeindemitgliedern vorbehalten war. Ihre Mutter platzte schier vor Stolz; wie eine Königin stand sie da und trug ihren eigenen Rosenkranz wie eine Krone.
»Mommy«, flüsterte Katie. »Mommy!«
Aber die Gemeinde hatte schon das nächste Lied angestimmt, und ihre Worte wurden vom Gesang übertönt. Niemand hörte sie.
Am Altar angelangt, ließ ihr Vater endlich ihren Arm los. »Sei ein braves Mädchen«, murmelte er und trat zur Seite, um sich zu ihrer Mutter zu gesellen. Sie drehte sich um und wollte ihm nachgehen, doch sie fand ihren Fluchtweg versperrt.
Der Prophet Jeremiah Goode stand vor ihr. Er nahm ihre Hand.
Wie heiß seine Finger sich auf ihrer kalten Haut anfühlten! Und wie groß seine Hand aussah, als er sie um die ihre legte, als wäre sie in der Umklammerung eines Riesen gefangen.
Die Gemeinde stimmte das Hochzeitslied an. O seliger Bund, gesegnet vom Himmel, auf ewig vereint in Seinen Augen!
Prophet Goode zog sie dicht an sich heran, und sie wimmerte leise vor Schmerz, als seine Finger sich wie Klauen in ihre Haut bohrten. Du gehörst jetzt mir, an mich gebunden durch den Willen Gottes , sagte dieser Griff. Du wirst mir gehorchen.
Sie blickte sich zu ihren Eltern um. Stumm flehte sie sie an, sie von hier wegzubringen, nach Hause, wo sie hingehörte. Doch die beiden sangen nur mit verzückter Miene. Ihr Blick schweifte durch den Saal, suchte nach irgendeinem Menschen, der sie aus diesem Albtraum erretten würde, doch sie sah nur ein endloses Meer aus beifällig lächelnden Gesichtern und nickenden Köpfen. Einen Saal, in dem das Sonnenlicht auf Blütenblättern gleißte, während zweihundert Stimmen sich zum Gesang erhoben.
Einen Saal, in dem niemand die stummen Schreie eines dreizehnjährigen Mädchens hörte, in dem niemand sie hören wollte.
2
Sechzehn Jahre später
Ihre Affäre war am Ende, aber eingestehen wollten sie es sich beide nicht. Stattdessen sprachen sie über die regennassen Straßen und den fürchterlichen Verkehr an diesem Morgen und über die Wahrscheinlichkeit, dass der Start von Mauras Maschine vom Logan Airport sich verzögern würde. Über das, was sie beide bedrückte, redeten sie nicht, obwohl Maura Isles es in Daniel Brophys Stimme hören konnte und auch in ihrer eigenen, so tonlos und gedämpft. Beide gaben sich größte Mühe, so zu tun, als hätte sich zwischen ihnen nichts verändert. Nein, sie waren einfach nur erschöpft, nachdem sie die halbe Nacht aufgeblieben waren, gefangen in der immer gleichen Diskussion, die jedes Mal unweigerlich das Nachspiel bildete, wenn sie miteinander schliefen. Die Diskussion, die ihr immer das Gefühl gab, Unmögliches zu fordern und nie genug zu bekommen.
Wenn du nur jede Nacht bei mir bleiben könntest. Wenn wir nur
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