Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)
Lautstärke, die seinem schwächer werdenden Gehör entsprach. Seine Ehefrau, die nebenan in der Küche das Geschirr in die Spülmaschine räumte, sollte ruhig schimpfen. Da sie fast acht Jahre jünger und noch gut beisammen war, hatte sie ihm im Laufe der letzten Jahre mehr und mehr die Fäden aus der Hand genommen. Eine Entwicklung, die Hermskötter zwar bequem, aber auch leicht beunruhigend fand. Doch die Hoheit über die Fernbedienung würde er sich nicht aus der Hand nehmen lassen, mochte da kommen, was wollte.
Er rutschte in seinem Sessel so lange hin und her, bis er behaglich saß. Die Wetterfrau im Fernsehen kündigte mit strahlendem Lächeln für die kommende Woche die Fortsetzung des nasskalten Wetters an. Walter Hermskötter brummte unzufrieden, als müsste er tatsächlich hinaus in die raue Natur und sich bei harter körperlicher Arbeit im Dauerregen den Tod holen. Dabei war er seit vielen Jahren Rentner und würde auch den morgigen Tag gemütlich im warmen Wohnzimmer verbringen. Wozu hatte er schließlich ein Leben lang geschuftet? Jetzt waren andere an der Reihe. Sein Leben war zwar alles andere als ereignisreich, aber genau so mochte er es. Und so sollte es auch bleiben bis ans Ende seiner Tage. Da sein Haus direkt neben dem riesigen Paderborner Westfriedhof stand, würde auch der allerletzte Weg nicht allzu anstrengend werden.
Als seine Frau Maria sich müde aufs Sofa fallen ließ, warf er ihr einen schnellen, forschenden Blick zu. Zum Glück wirkte sie nicht angespannt, sondern machte einen gelösten Eindruck. Nein, es würde keine atmosphärischen Störungen geben, während die beiden, wie jeden Sonntag, den Tatort schauten.
Der Vorspann hatte eben begonnen, da schrillte die Haustürklingel.
»Wer kommt denn jetzt noch?«, schimpfte Hermskötter, blieb aber ganz selbstverständlich sitzen. Seine Frau hievte sich mit fragendem Blick vom Sofa hoch, fuhr sich kurz mit beiden Händen durch die Frisur und strich ihr Kleid glatt. Dann ging sie zur Haustür. Nun hielt es Walter Hermskötter doch für seine Hausherrenpflicht, nach dem Rechten zu sehen. Ächzend drückte er sich hoch, schlüpfte in seine Pantoffeln und ging, leicht hinkend, hinter seiner Frau her.
Ein Windstoß drang wie eine Riesenwelle herein, als seine Frau die Tür öffnete. Er raubte ihnen fast den Atem, und es dauerte einige Sekunden, bis sie sich wieder orientiert hatten.
Vor der Tür stand eine junge Frau, die vom Regen völlig durchnässt war. Auf dem linken Arm trug sie eine ebenso nasse kleine Katze, der das rechte Ohr fehlte. Mit der rechten Hand hielt sie eine gut gefüllte Plastiktüte. Die Frau, die noch keine dreißig Jahre alt sein mochte, war mit ihrem dünnen Mantel für dieses Wetter völlig unzureichend gekleidet. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, auch wenn er im ersten Augenblick nicht hätte sagen können, wann und wo er es schon einmal gesehen hatte.
Frau Hermskötter war eine warmherzige ältere Dame, die bei diesem Wetter niemanden draußen vor der Tür stehen ließ. Sie bat die Besucherin mit einem freundlichen, wenn auch leicht unsicheren Lächeln herein. Als Maria die Haustür wieder geschlossen und damit die ungemütliche Außenwelt ausgesperrt hatte, fiel Hermskötter auch wieder ein, woher er dieses hübsche Gesicht mit den großen, traurigen Augen kannte. Diese junge Frau hatte er schon mehrfach in das frei stehende Haus auf der anderen Straßenseite gehen sehen, wo sie offenbar wohnte. Aber miteinander gesprochen hatten sie noch nie. Nach Meinung der anderen Nachbarn war sie, wie auch die beiden anderen jungen Damen, die dort lebten, nicht ganz koscher, irgendwie anders. Man konnte nur mutmaßen, womit sie ihr Geld verdienten.
Die durchnässte junge Frau schüttelte abwehrend den Kopf, als Frau Hermskötter sie in das Wohnzimmer geleiten wollte.
»Danke«, sagte sie leise in einem osteuropäisch gefärbten Deutsch und streichelte der kleinen Katze über das feuchte Fell. »Aber ich möchte Sie nicht mehr als nötig belästigen. Mein Name ist Alicija. Wie Sie vielleicht wissen, wohne ich seit einem halben Jahr im Haus gegenüber. Ich muss heute noch dringend für einige Tage wegfahren und möchte Sie bitten, für diese Zeit auf meine Katze aufzupassen. Tut mir leid, wenn ich Ihnen damit zur Last falle, aber ich habe sonst niemanden und weiß wirklich nicht, wohin mit der Kleinen. Sie heißt Natascha. Ich habe ein bisschen Futter und Spielzeug für sie mitgebracht. Ansonsten geht sie gerne raus, Sie
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