Totentöchter - Die dritte Generation
Nachthemd und beginnt ihre Haut mit dem Seifenwasser abzuwaschen.
»Medizin im Wasser«, stöhnt die hustende Frau. »Ich rieche es. Überall Medizin. Lasst mich doch sterben.«
Sie klingt so verletzt und bestürzt, dass ich sie trotz meiner eigenen Lage bedauere.
»Was machst du hier?«, flüstert jemand unfreundlich hinter mir. Ich drehe mich um und sehe den Jungen, der mir vorhin das Essen gebracht hat. Er wirkt nervös. »Wie bist du rausgekommen? Geh wieder in dein Zimmer. Beeil dich, lauf!«
So etwas ist in meinen Albträumen nie vorgekommen, jemand, der mich zum Handeln drängt. Ich bin dankbar dafür. Ich renne zurück zu meiner offenen Tür, doch vorher stoße ich mit jemandem zusammen, der mir im Weg steht. Ich sehe auf und erkenne den Mann, der mich in seinen Armen aufgefangen hat. Wenn er lächelt, blitzt Gold.
»Na so was, hallo«, sagt er.
Keine Ahnung, wie ich sein Lächeln einschätzen soll, ob es verschlagen ist oder freundlich. Es dauert nur einen kleinen Moment, bis er das Blut auf meinem Gesicht und dem Nachthemd bemerkt, dann drängt er sich an mir vorbei. Er läuft in das Zimmer, in dem die Frau immer noch fürchterliche Hustenanfälle hat.
Ich laufe in mein Zimmer. Dort reiße ich mir das Nachthemd herunter und schrubbe mir mit dem sauberen Teil das Blut von der Haut. Danach verstecke ich mich unter der Bettdecke und halte mir die Hände auf die Ohren, versuche, diese furchtbaren Geräusche auszuschließen. Diesen ganzen furchtbaren Ort auszuschließen.
Das Geräusch, das der Türknauf macht, weckt mich dieses Mal. Der Junge, der mir das Mittagessen gebracht hat, trägt nun ein anderes Silbertablett. Er sieht mir nicht in die Augen. Er geht durch den Raum und stellt das Tablett auf meinen Nachttisch.
»Abendessen«, sagt er feierlich.
Von unter meiner Decke beobachte ich ihn, aber er sieht mich nicht an. Er hebt nicht mal den Kopf, als er das schmutzige Nachthemd, das mit Roses Blut bespritzt ist, vom Boden aufhebt und es in den Schacht wirft. Dann dreht er sich um und will gehen.
»Warte«, sage ich. »Bitte.«
Mit dem Rücken zu mir erstarrt er.
Und ich bin nicht sicher, was es eigentlich ist, was er an sich hat – dass er etwa so alt ist wie ich, dass er so unaufdringlich ist oder dass er nicht glücklicher scheint als ich, hier zu sein –, aber ich will seine Gesellschaft. Wenn auch nur für ein oder zwei Minuten.
»Diese Frau«, sage ich, in dem verzweifelten Versuch, Konversation zu machen, bevor er geht. »Wer ist sie?«
»Das ist Rose«, sagt er. »Die Erste Frau des Hauswalters.« Alle Hauswalter nehmen eine Frau zur Ersten Frau. Das hat nichts mit der Reihenfolge der Eheschließungen zu tun, sondern ist ein Zeichen von Macht. Erste Frauen nehmen an gesellschaftlichen Veranstaltungen teil, sie treten mit ihren Hauswaltern in der Öffentlichkeit auf und offenbar steht ihnen auch das Privileg eines offenen Fensters zu. Sie sind die Favoritinnen.
»Was fehlt ihr denn?«
»Das Virus«, sagt er, und als er sich zu mir umdreht, sieht er mich mit echter Neugier an. »Hast du noch nie jemandem mit dem Virus gesehen?«
»Nicht aus der Nähe«, sage ich.
»Nicht mal deine Eltern?«
»Nein.« Meine Eltern waren erste Generation und schon ein gutes Stück in den Fünfzigern, als mein Bruder und ich geboren wurden. Aber ich bin nicht sicher, ob ich ihm das erzählen will. Stattdessen sage ich: »Ich bemühe mich wirklich, nicht an das Virus zu denken.«
»Ich auch«, sagt er. »Sie hat nach dir gefragt, als du weg warst. Du heißt Rhine?«
Jetzt sieht er mich an, also nicke ich. Plötzlich wird mir
bewusst, dass ich nackt unter diesen Decken bin. Ich wickele sie fester um mich. »Wie heißt du?«
»Gabriel.« Und da ist es wieder, dieses Beinahe-Lächeln, gehemmt von der Last der Dinge.
Ich will ihn fragen, was er hier an diesem schrecklichen Ort mit der wunderschönen Gartenanlage, dem klaren blauen Schwimmbecken und den symmetrischen grünen Hecken macht. Ich will wissen, wo er herkommt und ob er vorhat, wieder dorthin zurückzugehen. Sogar von meinem Fluchtplan will ich ihm erzählen – das heißt, wenn ich je einen solchen Plan entwickle. Aber diese Gedanken sind gefährlich. Wenn mein Bruder hier wäre, würde er mir einschärfen, niemandem zu trauen. Und er hätte recht.
»Gute Nacht«, sagt der Junge – Gabriel. »Das Beste ist wohl, du isst etwas und schläfst dann. Morgen ist ein großer Tag.« Sein Ton lässt darauf schließen, dass ich vor etwas
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