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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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    Sie lächelte.
    »Ich kenne Sie nicht so gut, wie ich Derryn kannte, aber in einem Punkt bin ich mir sicher: Ich bin das Risiko eingegangen, Sie zu bitten, mir zu glauben, weil ich genau weiß, dass – falls wir die Situation nur für einen einzigen Moment umkehren würden und Sie den Menschen sähen, den Sie lieben – Sie dieses Risiko umgekehrt auch eingehen würden.«
    »Mary …«
    Sie schaute mich an, als hätte sie diese Reaktion halb erwartet.
    »Sie müssen zur Polizei gehen.«
    »Bitte, David …«
    »Denken Sie einmal darüber nach, was Sie …«
    »Sparen Sie sich Ihre Beleidigungen« , sagte sie, die Stimme zum ersten Mal erhoben. »Sie können alles tun, aber beleidigen Sie mich nicht, indem Sie mir sagen, ich solle über das nachdenken, was ich sage. Glauben Sie denn, ich hätte in den letzten drei Monaten über irgendetwas anderes nachgedacht?«
    »Hier geht es um mehr als ein paar Anrufe.«
    »Ich kann nicht zur Polizei gehen.« Sie setzte sich auf, und die Finger ihrer einen Hand klammerten sich an den Stoff ihres Regenmantels, als wollte sie verhindern, dass etwas zu Ende ging. »Tief im Innersten wissen Sie, dass ich das nicht kann.«
    »Aber wie sollte er am Leben sein?«

    »Ich weiß es nicht.«
    »Er kann nicht am Leben sein, Mary.«
    »Es gelingt Ihnen nicht, zu begreifen, wie es sich anfühlt«, sagte sie leise.
    Ich nickte und schwieg. Sie stellte den Unterschied heraus, den es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren, wie ich es erlebt hatte, und einen geliebten Menschen erst zu verlieren und dann wieder auftauchen zu sehen. Wir beide erkannten diesen Unterschied – und daraus schien sie neues Vertrauen zu schöpfen.
    »Er war es.«
    »Er war ein gutes Stück von Ihnen entfernt. Warum sind Sie so sicher?«
    »Ich bin ihm gefolgt.«
    »Sie sind ihm gefolgt ? Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Nein.«
    »Sind Sie ihm näher gekommen?«
    »Ich konnte die Narbe auf seiner Wange erkennen, wo er als Kind beim Fußballspielen in der Schule gestürzt ist.«
    »Wirkte er … irgendwie verletzt?«
    »Nein. Er machte einen gesunden Eindruck.«
    »Was hat er getan?«
    »Er trug einen Rucksack über der Schulter. Er hatte sein Haar abrasiert. Wenn Sie sich die Fotos ansehen, die ich Ihnen gegeben habe, dann hatte er immer lange Haare. Als ich ihn sah, waren sie rasiert. Er sah anders aus, dünner, aber er war es.«
    »Wie weit sind Sie ihm gefolgt?«
    »Vielleicht achthundert Meter. Dann ist er für fünfzehn Minuten in eine Bibliothek in der Nähe der Tottenham Court Road gegangen.«
    »Was hat er dort gemacht?«
    »Ich bin nicht hineingegangen.«

    »Warum nicht?«
    Sie hielt einen Moment inne. »Ich weiß es nicht. Als ich ihn aus den Augen verloren hatte, begann ich an dem zu zweifeln, was ich gesehen hatte.«
    »Kam er wieder heraus?«
    »Ja.«
    »Hat er Sie gesehen?«
    »Nein. Ich folgte ihm bis zur U-Bahn und verlor dort seine Spur. Sie wissen ja, wie es ist. Ich konnte ihn in der Menge nicht wiederfinden. Ich wollte bloß mit ihm reden, aber ich hatte ihn verloren.«
    »Haben Sie ihn seitdem noch einmal gesehen?«
    »Nein.«
    Ich lehnte mich in meinen Stuhl zurück. »Vor drei Monaten, sagten Sie?«
    Sie nickte. »Am fünften September.«
    »Und Malcolm?«
    »Was ist mit ihm?«
    »Haben Sie ihm davon erzählt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Welchen Sinn hätte das? Er hat Alzheimer. Er kann sich nicht mal an meinen Namen erinnern.«
    Ich schwieg und betrachtete das Foto von Derryn auf meinem Schreibtisch.
    »Versetzen Sie sich in meine Lage, Mary. Stellen Sie sich vor, wie das, was Sie sagen, klingt.«
    »Ich weiß, wie es klingt «, erwiderte sie. »Es klingt unmöglich. Ich schleppe es jetzt seit drei Monaten mit mir herum, David. Was denken Sie, warum ich bis jetzt niemandem davon erzählt habe? Die Leute würden denken, ich hätte den Verstand verloren. Sehen Sie sich an: Sie sind der einzige Mensch, von dem ich mir vorstellen konnte, dass er mir glaubt, und auch Sie denken, dass ich lüge.«

    »Ich glaube nicht, dass Sie lü…«
    »Bitte, David.«
    »Ich glaube nicht , dass Sie lügen, Mary«, sagte ich. Aber ich glaube, Sie sind verwirrt.
    Ärger flackerte in ihren Augen auf, als hätte sie erraten, was ich dachte. Dann wich der Ärger einer Akzeptanz, dass es so sein musste. Sie schaute hinunter auf ihren Schoß, dann in ihre Handtasche, die neben ihr auf dem Fußboden stand. »Der einzige Weg, Sie zu überzeugen, besteht darin, dass ich Sie bezahle.«
    »Mary, dies hier

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