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Die Rache

Die Rache

Titel: Die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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1
     
    Um 2 Uhr 15 an einem Mittwoch nachmittag im späten September saß Dismas Hardy an der Theke des Little Shamrock auf einem Barhocker und bearbeitete die Spitzen seiner Dartpfeile mit einer feinen Sandblattfeile. Ein Krug Guinness, vor einer Viertelstunde gezapft, hatte längst seine Schaumkrone verloren und stand unberührt auf der Theke. Hardy pfiff leise vor sich hin, so glücklich wie seit zehn Jahren nicht mehr.
    Er hatte die Bar um Punkt eins geöffnet und Tommy, einem Stammkunden, eine Flasche Miller Draft serviert. Tommy war ein ehemaliger Lehrer, der vor ein paar Jahren pensioniert worden war und inzwischen die meisten Nachmittage vor dem großen Aussichtsfenster verbrachte und mit jedem sprach, der ihm Gehör schenkte. Aber heute erzählte er Hardy, er habe eine Verabredung, und ging nach einem Bier. Tommy war in Ordnung, doch alleingelassen zu werden, brach Hardy nicht das Herz.
    Als er einen Pfeil fertig bearbeitet hatte, blickte er auf, nahm das Guinness und nippte daran. Durch das Fenster über Tommys Tisch sah er auf den Lincoln Way, wo nur wenig Verkehr herrschte. Auf der anderen Straßenseite bewegten sich an der Grenze zum Golden-Gate-Park Immergrün und Eukalyptusblätter schimmernd im schwachen Wind. Heute morgen hatte es keinen Nebel gegeben, und Hardy vermutete, der Wind würde noch warm sein. Wenn du einen Sommer in San Francisco erleben willst, plane deine Ferien für den Herbst …
    Ein Bus bog um die Straßenecke und hielt an. Als er weiterfuhr, blieb an der Ecke ein Mann zurück, der sich verloren umsah.
    Eine Minute später flogen die Doppeltüren auf. Hardy raffte die Pfeile zusammen und schwang sich um das Ende der Theke herum. Hinter den porzellanenen Zapfhähnen blieb er stehen und nickte dem Kunden zu.
    Falls es ein Kunde war.
    Auf den ersten Blick erweckte der Mann nicht gerade den Anschein nach Banknotenbündeln und Limousinen – ob er das Geld für ein Bier übrig hatte, schien fraglich. Sein Hemdkragen war offen und ziemlich abgetragen, und die Hose, die ihm um die Beine schlotterte, brauchte dringend ein Bügeleisen. Die Augen unter der flachen Stirn blinzelten, um sich an das gedämpfte Licht der Bar zu gewöhnen, obwohl das Shamrock nun wirklich keine Höhle war. Er hatte eine Rasur nötig.
    »Kann ich Ihnen helfen?« fragte Hardy und betrachtete den Mann genauer. Plötzlich begannen die Teile sich zu einem Bild zu fügen. »Rusty?«
    Der Mann rang sich ein mattes Lächeln ab, das ihn Mühe zu kosten schien. »Zehn Punkte.« Er streckte die Hand über die Theke, und Hardy ergriff sie. »Wie geht’s dir, Diz?« Die Stimme wirkte ruhig und sicher, kultiviert.
    Hardy fragte ihn, was er trinken wolle, und sagte, es gehe auf seine Rechnung.
    »Dasselbe wie immer.«
    Hardy schloß die Augen und versuchte sich zu erinnern, dann griff er ins oberste Regal und nahm eine Flasche Wild Turkey. Er warf einen kurzen Blick auf den Mann, mit dem er das Büro geteilt hatte, als sie beide für die Staatsanwaltschaft gearbeitet hatten.
    Rusty Ingraham war gealtert. Vor allem an den Haaren war das zu sehen, oder besser: an dem Mangel an Haaren. Mit fünfundzwanzig hatte er einen dichten Schopf orangeroter Haare und einen gewaltigen Schnurrbart gehabt. Jetzt, wo im Gesicht nur noch die Bartstoppel wucherten, der Schädel kahl und die Schläfen grau waren, wirkte er alt. Noch immer gutaussehend, aber alt.
    Hardy schenkte ihm einen Doppelten ein.
    »Erstaunlich«, sagte Rusty Ingraham und nickte seinem Glas zu.
    Hardy zuckte mit den Schultern. »Wenn du jemanden wirklich kennst, vergißt du nie, was er trinkt.«
    »Na, dann hast du wohl deine Berufung gefunden.« Rusty hob das Glas, Hardy seinen Bierkrug, und beide sagten »Skól«.
    »Und?« Hardy setzte sein Glas ab. »Bist du noch Anwalt?«
    Ingrahams Lippen bewegten sich leicht und zeigten eine Sanftmut, die Hardy früher nie an ihm gesehen hatte. Als sie zusammen für den Generalstaatsanwalt gearbeitet hatten, mochte Ingraham wohl einige Empfindsamkeit besessen haben, aber sicher keine Sanftmut. Jetzt war da dieses halbe Lächeln eines Mannes, der nur noch zurückschaute. Die guten Zeiten – welche auch immer – würden niemals zurückkehren.
    Rusty nippte gemächlich an seinem Whisky. »Du mußt schon eine Weile aus der Branche raus sein, wenn du sie immer noch Anwälte nennst.«
    Hardy grinste. Es war ein alter Scherz. »Dann eben Staatsanwalt – bist du noch Staatsanwalt?«
    Wie eine Flamme, die versucht, einen Docht zu

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