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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Byung-Chul Han
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verleiht ihnen einen geheimnisvollen »Glanz« (clarior). Diese »Aureole« entsteht durch ein »Zittern«, durch ein »Schillern« an ihren Rändern. 34 Das leise Zittern verursacht, so könnte man Agambens Gedanken fortführen, ein Undeutlich-Werden, das das Ding von seinen Rändern aus in einen geheimnisvollen Glanz hüllt. Das Heilige ist nicht transparent. Vielmehr zeichnet es eine geheimnisvolle Unscharfe aus. Das kommende Reich des Friedens wird nicht Transparenzgesellschaft heißen. Die Transparenz ist kein Zustand des Friedens.
    Nicht nur der Raum des Heiligen, sondern auch der des Begehrens ist nicht transparent. Er ist vielmehr »gekrümmt«; »nur indirekt ist das Objekt/die frouwe zu erreichen, nur auf gewundenem, mäandrischem Wege«. 35 Die frouwe, das Objekt des Begehrens in der höfischen Liebe, ist ein »schwarzes Loch«, um das herum das Begehren sich verdichtet. Es wird, so Jacques Lacan, »eingeführt durch die sehr sonderbare Tür eines Entzugs, einer Unerreichbarkeit«. 36 Lacan vergleicht es mit der »nicht entzifferbaren Figur« der Anamorphose, in der der Bildinhalt nur entstellt, verzogen in Erscheinung tritt. 37 Sie ist also alles andere als evident (lat. videre — sehen). Die höfische Liebe ist, so Lacan, »anamorphotisch«. 38 Ihr Objekt ist auch in temporaler Hinsicht eine Anamorphose, denn »nur auf dem Wege endlosen Aufschubs« ist das Objekt erreichbar. 39 Lacan nennt es auch das »Ding« (deutsch im Original), von dem sich aufgrund seiner Undurchdringlichkeit und Verborgenheit kein Bild machen lässt. Es flieht die Repräsentation: »Was da ist in Das Ding, das ist das wirkliche Geheimnis.« 40
     
    Die Transparenz ist ein Zustand der Symmetrie. So ist die Transparenzgesellschaft bestrebt, alle asymmetrischen Beziehungen zu beseitigen. Zu ihnen gehört auch die Macht. Die Macht an sich ist nicht diabolisch. Sie ist in vielen Fällen produktiv und hervorbringend. Sie generiert einen Frei- und Spielraum zur politischen Gestaltung der Gesellschaft. Die Macht ist im hohen Maße auch an der Produktion von Lust beteiligt. Die libidinöse Ökonomie folgt einer machtökonomischen Logik. Auf die Frage, warum der Mensch dazu neigt, Macht auszuüben, antwortet Foucault mit dem Hinweis auf die Lustökonomie. Je freier die Menschen in ihrer Beziehung zueinander seien, desto größer sei ihre Lust, das Verhalten der Anderen zu bestimmen. Die Lust sei umso größer, je offener das Spiel, je vielfältiger die Spielarten seien, in denen man das Verhalten der Anderen lenke. Zu strategischen Spielen gehört im hohen Maß Intransparenz und Unberechenbarkeit. Auch die Macht ist ein strategisches Spiel. So spielt sie in einem offenen Raum: »Macht heißt: strategische Spiele. Man weiß sehr wohl, daß die Macht nicht das Böse ist. Nehmen Sie zum Beispiel sexuelle oder Liebesbeziehungen: In einer Art offenen strategischen Spiels, worin sich die Dinge umkehren können, über den anderen Macht auszuüben, ist nichts Schlechtes, das ist Teil der Liebe, der Leidenschaft, der sexuellen Lust.« 41
     
    Jene Nietzscheanische »Lust«, die »Ewigkeit« will, ist mitternächtlichen Ursprungs. Nietzsche würde sagen, dass wir Gott nicht abgeschafft haben, solange wir noch an die Transparenz glauben. Gegen den aufdringlichen Blick, gegen die allgemeine Sichtbarmachung verteidigt Nietzsche den Schein, die Maske, das Geheimnis, das Rätsel, die List und das Spiel: »Alles, was tief ist, liebt die Maske; die allertiefsten Dinge haben sogar einen Hass auf Bild und Gleichnis. [...] Es giebt Handlungen der Liebe und einer ausschweifenden Grossmuth, hinter denen nichts räthlicher ist, als einen Stock zu nehmen und den Augenzeugen durchzuprügeln [...], es ist nicht nur Arglist hinter einer Maske - es gibt so viel Güte in der List. [...] Jeder tiefe Geist braucht eine Maske; mehr noch, um jeden tiefen Geist wächst fortwährend eine Maske [.. .].« 42 Der tiefe Geist entsteht im Schutz einer Maske. Sie wächst um ihn wie eine Schutzhaut. Das ganz Andere, das Neue gedeiht nur hinter einer Maske, die es vor dem Gleichen schützt. Und List ist nicht gleich Arglist. Sie ist effizienter und weniger gewaltsam als die vom kategorischen Imperativ geleitete Handlung. So schreibt Nietzsche: »List besser als Gewalt.« 43 Sie ist insofern geschmeidiger, flexibler, als sie sich umblickt und das jeweilige Situationspotenzial ausschöpft. So ist sie sehender als der kategorische Imperativ, der dank seiner Starrheit sich transparent

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