Transparenzgesellschaft
Sexualität«, eine »neue Form erotischer Kommunikation« zu eröffnen. Agamben bemerkt, dass diese präexpressive, von jeder theologischen Signatur befreite Nacktheit in sich ein »profanatorisches Potential« berge, das aber von der »Vorrichtung der Pornographie« zunichte gemacht werde. Entgegen Agambens Annahme blockiert die Pornografie nicht nachträglich den neuen Gebrauch der Sexualität. Pornografisch ist schon das zum Komplizen der Nacktheit gewordene Gesicht, dessen einziger Inhalt in seiner Ausgestelltheit besteht, nämlich darin, das schamlose Bewusstsein des Zur-Schau-gestellt-Seins des nackten Körpers auszustellen. Obszön ist das geheimnislose, transparent gewordene, allein auf seine Ausgestelltheit reduzierte nackte Gesicht. Pornografisch ist das face, das sich mit Ausstellungswert bis zum Platzen belädt.
Agamben erkennt nicht, dass bereits die Ausgestelltheit an sich pornografisch ist. Der Kapitalismus verschärft die Pornografisierung der Gesellschaft, indem er alles als Ware ausstellt und der Hypervisibilität ausliefert. Angestrebt wird die Maximierung des Ausstellungswertes. Der Kapitalismus kennt keinen anderen Gebrauch der Sexualität. Gerade in den pornografischen Werbebildern realisiert sich der von Agamben geforderte »kollektive Gebrauch der Sexualität«. Der »solitäre Konsum des pornographischen Bildes« ist kein bloßer »Ersatz« für das Versprechen eines neuen, kollektiven Gebrauchs der Sexualität. Vielmehr machen der Solitär und das Kollektiv denselben Gebrauch von den pornografischen Bildern.
Agamben entgeht vor allem der wesentliche Unterschied zwischen dem Erotischen und dem Pornografischen. Die direkte Zur-Schau-Stellung der Nacktheit ist nicht erotisch. Die erotische Stelle eines Körpers ist gerade da, »wo die Kleidung auseinanderklafft«, die Haut, die »zwischen zwei Säumen« »glänzt«, z.B. zwischen dem Handschuh und dem Ärmel. Die erotische Spannung entspringt nicht der permanenten Ausstellung der Nacktheit, sondern der »Inszenierung eines Auf- und Abblendens«. 55 Es ist die Negativität der »Unterbrechung«, die der Nacktheit einen Glanz verleiht. Die Positivität der Ausstellung der hüllenlosen Nacktheit ist pornografisch. Ihr fehlt der erotische Glanz. Der pornografische Körper ist glatt. Er wird durch nichts unterbrochen. Die Unterbrechung erzeugt eine Ambivalenz, eine Doppeldeutigkeit. Diese semantische Unscharfe ist erotisch. Das Erotische setzt ferner die Negativität des Geheimnisses und der Verborgenheit voraus. Es gibt keine Erotik der Transparenz. Gerade da, wo das Geheimnis zugunsten totaler Ausstellung und Entblößung verschwindet, beginnt die Pornografie. Eine penetrante, penetrierende Positivität zeichnet sie aus.
In jedem Geheimnis vermutet Agamben eine theologische Signatur, die es zu »profanieren« gilt. Die Profanierung hat eine geheimnislose Schönheit, eine Nacktheit »jenseits des Prestiges der Gnade und der Verlockungen der verderbten Natur« hervorzubringen: »Hinter der unerklärlichen Hülle hingegen verbirgt sich kein Geheimnis: Entblößt, erweist sie sich als reiner Schein. [...] Insofern lautet das Mathem der Nacktheit schlicht: haecce!, ›dies und nichts anderes‹.« 56 Ein Mathem des Erotischen gibt es aber nicht, das Erotische entzieht sich dem »haecce!« Die geheimnislose Evidenz des ›dies und nichts anderes‹ ist pornografisch. Dem Erotischen fehlt die Eindeutigkeit des Deiktischen. Nicht deiktisch sind die erotischen Hinweise. Die erotische Verführungskraft spielt, so Baudrillard, »mit der Ahnung dessen«, »was dem andern an sich selbst ewig Geheimnis bleiben wird, mit dem, was ich nie von ihm wissen werde und das mich dennoch unter dem Siegel des Geheimnisses anzieht«. 57 Das Pornografische ist weder anziehend noch anspielend, sondern ansteckend und affizierend. Ihm fehlt die Distanz, in der die Verführung möglich wäre. Zur erotischen Anziehung gehört notwendig die Negativität des Entzugs.
Barthes unterscheidet zwei Elemente der Fotografie. Das erste Element nennt er das »Studi um«. Es gilt dem ausgedehnten Feld aus Informationen, die es zu studieren gilt, und dem »Feld der unbekümmerten Wünsche, des ziellosen Interesses, der inkonsequenten Neigung: ich mag/ ich mag nicht, I like / I don't«. 5S Es gehört zur Gattung des »to like« und nicht des »to love«. Es gefällt mir/gefällt mir nicht ist seine Urteilsform. Ihm fehlt jede Heftigkeit oder Leidenschaft. Das zweite
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