Trapez
schwar zen Rollkragenpullover zurück, der entweder der alte von der Ballettschule oder sein identisches Gegenstück war.
Er fuhr sich mit einem Kamm durch die Haare, und Tommy konnte gerade einen leichten Anflug von grau in den dunkeln Locken erkennen. Angelo war auch früh ergraut, fiel ihm ein.
Sie gingen über den Hof zum Parkplatz. Tommys Auto war das einzige, das übrig war. Einmal legte Mario kurz seine Hand auf Tommys Arm, zog sie dann aber wieder weg. Tommy sah zur Seite und sah, dass Marios Gesicht bedrückt und bla ss aussah. Und die alte, schmerzende Zärtlichkeit zerrte an etwas tief in ihm. Er hatte seine ganze Entschlossenheit zusammengenommen, um nicht seine Arme um Mario zu legen. Wie konnte er? Es war alles Vergangenheit. Jahre her. Der endgültige Bruch.
Mario hatte sich verändert, war verheiratet. Tommy selbst hatte den Ton angestimmt, als er sagte: Sag ihm, sein Bruder ist hier. Mario hatte ihn so akzeptiert, und es war mehr, als er verdiente.
»Dies ist mein Auto.«
Mario pfiff. »Welche Bank hast du denn ausgeraubt?«
»Mein eigenes Sparschwein. Ich hab’ das ausgegeben, was sich während meiner Armeezeit angesammelt hat.
Du kannst in der Armee nicht viel ausgeben, außer wenn du spielst oder auf Fräuleins stehst.«
Mario öffnete die Autotür. »Was – keine Fräuleins ?«
Tommy schlo ss seinen Mund und hielt die Antwort, die Mario hören wollte, zurück. »Pa ss auf deine Finger auf.«
Er knallte die Tür zu und stieg ein. Als er den Schlüssel ins Zündschlo ss steckte, ergriff Mario sein Handgelenk und drehte die Hand herum, um seine Handfläche anzuschauen.
»Keine Schwielen?«
»Ich war nicht mehr auf dem Trapez, seit wir uns getrennt haben. Wo können wir hier was zu essen kriegen?«
»Die Straße runter gibt es ein Restaurant. Die Leute aus der Show sagen, dass das Essen nicht schlecht ist. Natürlich ist Abilene nicht gerade ein Ort für Gourmets.«
Zum ersten Mal hörte Tommy eine Spur der wohlbekannten, verschrobenen Ironie. Er bemühte sich vorsichtig um einen respektlosen Ton. »Nach dem Armeefra ß mü ss te es großartig schmecken.«
Das Restaurant war klein und verraucht, mit dem durchdringenden Geruch von brutzelnden Hamburgern.
Tommy bestellte ein Sandwich, aber Mario sagte: »Nur Kaffee. Ich hab’ in ein paar Stunden Vorstellung.« Als das Essen kam fragte er: »Ist der Armeefraß so schlecht?
Ich weiß noch, damals während des Krieges haben wir die ganze Zeit gehört, wie gut sie gefüttert wurden, sogar als Fleisch und Zucker und der ganze Kram bei uns rationiert wurden.«
Tommy zuckte die Achseln. »Vielleicht haben sie gedacht, dass wir so abgehärtet werden sollen, dass es uns egal ist, was wir essen. Die Verpflegung war bloß eine weitere Möglichkeit, uns das Leben schwerzumachen, während wir in der Ausbildung waren.« Er bi ss in sein Sandwich. »Willst du wirklich nichts? Eis? Milchshake?«
Die Nische war klein, verschrammt, der Tisch aus blankem Holz. Jemand hatte einen Zehner in die Musikbox gesteckt und aus dem Lautsprecher plärrte der klagende Klang einer Blues-Gitarre, die von einer näselnden, hohlen Stimme begleitet wurde.
»Verdammter HillbillyScheiß !«
Tommy hob die Schultern. »Hübsche Gitarre.«
»Tom, wohin willst du? Du bleibst doch ‘ne Weile hier, nicht?«
»Ich treib’ mich so rum.« Tommy wu ss te, dass er Mario gegenüber nie erwähnen würde, dass er nach ihm gesucht hatte. »Ich hätte nicht erwartet, dich hier zu finden.«
Marios Mund verzog sich an einer Seite zu dem alten Grinsen.
»Das habe ich selbst auch nicht erwartet.« Er sah auf Tommys Handgelenke. »Du siehst aus, als wärst du noch in Form.«
»Als sie mich nach meinem Zivilberuf fragten, habe ich wie ein verdammter Idiot Akrobat gesagt. Und da haben sie mich ins Sportprogramm geschickt. Ich hab’ meine ersten zwei Jahre damit verbracht, den Neuen bei Liegestützen zuzusehen. Bin Feldwebel geworden. Dann habe ich mich für den Überseedienst gemeldet und bin nach Berlin gegangen.« Er grinste. »Ich habe versucht, in die Militärpolizei zu kommen. Sie sagten, ich sei zwar hart genug, aber nicht groß genug.«
»Hat dir die Armee gefallen?«
»Nicht sehr, ich hatte die Nase voll davon, ›Kurzer‹ genannt zu werden.« Tommy wollte nicht länger über die Armee sprechen. Es war ein undeutliches Bild von zu vielen gedrängten Männerkörpern, zuviel Krach, derber Sprache und unwillkommener Disziplin, die von ihm mit eiserner Selbstkontrolle
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