Der Außenseiter
Howard Stamp hat es noch nie leicht
gehabt im Leben. Aufgrund seiner
psychischen Labilität haben ihn seine
Altersgenossen schnell zum Außenseiter
abgestempelt, und innerhalb der Familie
hat er nie den Rückhalt bekommen,
den er dringend gebraucht hätte. Doch
als er 21 Jahre alt ist, ereignet sich
die Katastrophe, die Howard unwi-
derruflich aus der Bahn wirft: Seine
Großmutter Grace wird in ihrem Haus in
Bournemouth auf kaltblütige Weise er-
mordet – und Howard wird für schuldig
befunden. Das Urteil lautet lebensläng-
lich, doch Howard wird seine Haftstrafe
nie vollends verbüßen, denn er nimmt
sich im Gefängnis das Leben. Mehr als
dreißig Jahre später fallen dem jungen
Anthropologen Jonathan Hughes die
Prozessakten in die Hand, und ihm ist
schnell klar, dass die Beweisführung da-
mals eindeutig Mängel hatte. Gemeinsam
mit der resoluten George Gardener, die
mit dem Fall vertraut ist und noch nie an
Howards Schuld glauben wollte, rollt er
die Geschichte wieder auf – und macht
alsbald eine erstaunliche Entdeckung.
Denn wenige Tage vor dem Mord an
Howards Großmutter verschwand ein
junges Mädchen, das mit Howard und
Grace befreundet war – die 13-jährige
Cill Trevelyan. Bis zum heutigen Tag fehlt
jede Spur von ihr, und niemand weiß, ob
sie noch am Leben ist. Jonathan ist davon
überzeugt, dass Cills Verschwinden kein
Zufall sein kann und sie der Schlüssel
zur Lösung des Falles ist. Noch kann er
nicht ahnen, welch infamer Intrige er auf
der Spur ist – und dass er sich längst im
Umfeld des Mörders bewegt …
MINETTE WALTERS · Der Außenseiter
Minette Walters
Der Außenseiter
ROMAN
Deutsch von
Mechtild Sandberg-Ciletti
Goldmann Verlag
Die englische Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel
»Disordered Minds« bei Macmillan, London.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2004
by Minette Walters
Copyright © der deutschsprachigen Erstveröffentlichung 2005 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 3-442-31078-4
www.goldmann-verlag.de
Für Benson & Hedges
Kein Mensch ist so gut, dass er frei ist von allem Bösen Oder so böse, dass er ohne jeden Wert ist.
MICHAEL CRICHTON
1
Colliton Park, Highdown, Bournemouth
Montag, 4. Mai 1970, 13 Uhr 30
Ein toller Park war es nicht, ein Stück verdorr-tes Gras am Colliton Way, knapp einen Morgen groß, auf dem die Leute aus der Gegend morgens und abends ihre Hunde ausführten. Tagsüber war kaum einer hier, von den paar Schulschwänzern abgesehen, die hinten bei den Bäumen herumlun-gerten. Die Polizei schaute selten vorbei, was damit zu tun hatte, dass zwischen den jungen Leuten und dem einzigen Eingang eine freie Strecke von etwa hundert Metern lag. Bis zwei übergewichtige Polizisten es schafften, dorthin zu kommen, waren die Jugendlichen längst fort. Sie sprangen einfach über die niedrige Umzäunung in die dahinter liegenden Gärten. Da es daraufhin von den Anliegern jedes Mal Beschwerden hagelte, zog die Polizei, die ein ruhiges Leben schätzte, es vor, die Schüler in Ruhe zu lassen.
Solange sie im Park waren, so die Überlegung, klauten sie wenigstens nicht, da war es gescheiter, 13
ein Auge zuzudrücken und anderswo für Recht und Ordnung zu sorgen. Schuleschwänzen stand bei den eher zynisch denkenden Ordnungshütern weit unten auf der Skala der Vergehen.
Über den Colliton Way, im ärmeren Teil Highdowns gelegen, gab es wenig Gutes zu sagen. Die Arbeitslosigkeit war hoch, der Bildungshunger gering, und das Neubauprojekt auf dem riesigen un-genutzten Gelände dahinter, das Arbeitsplätze und Wohnungen in Aussicht gestellt hatte, war zunächst ins Stocken geraten und dann ganz zum Stillstand gekommen. Derzeit wurde einzig noch am Fabrikgebäude der Firma Brackham & Wright gebaut. Es sollte die gegenwärtig noch genutzte veraltete Fabrik in der Glazeborough Road ersetzen. Für die dort beschäftigten Arbeiter, von denen viele am Colliton Way wohnten, war das kein Trost. Neue Techno-logien und fortschreitende Automatisierung brachten doch immer Entlassungen mit sich.
Die hartnäckigsten Schulschwänzer waren drei Jungen. Sie konnten sehr gewinnend und großzügig sein, solange niemand ihren Führungsanspruch in Frage stellte, kam jedoch jemand ihnen in die Quere, waren sie äußerst gewalttätig. Das verlieh ihnen eine starke
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