Traumfrau (German Edition)
nannte sich gern Lastwagenfahrer, das klang so schön nach großer weiter Welt, doch seine Skatbrüder wussten, dass er nur Beifahrer gewesen war. Einmal für sechs Monate bei einer Spedition. Die Strecke Hamburg–Frankfurt kannte er seitdem auswendig. Sein Vetter im Nachbardorf hatte ihm angeboten, eine Lehre in seiner Tischlerei zu machen. Damals hatte er das lächelnd abgelehnt. Tischlerei! Du meine Güte! Er wollte sein Leben nicht zwischen Sägespänen verbringen!
Er war ein Abenteurer, der noch nichts erlebt hatte. Ein Held ohne Heldentaten. Ein Killer, der kein Blut sehen konnte, ein einsamer Frauenheld. Seit einem Jahr ging er regelmäßig ins Bodybuilding Center. Dreimal in der Woche. Er hatte Zeit. Wo andere einen Bierbauch bekamen, saß bei ihm eine bewegliche Panzerplatte.
Seine Oberarme hatten vier Zentimeter zugelegt. An die Bizepsmaschine setzte er sich immer zuletzt, um seine Armmuskeln noch einmal so richtig aufzupumpen. Er machte geradezu erstaunliche Fortschritte und inzwischen hatte er sich vom Trainer auch überreden lassen, seine tägliche Eiweißration mit Schokoladengeschmack runterzuwürgen. Fünfundvierzig Mark für ein bisschen Eiweißpulver kam ihm reichlich viel vor, aber immerhin, sein Körper entwickelte sich großartig.
Die Vitamintabletten nahm er nicht mehr, sie waren ihm auf den Magen geschlagen.
„Wenn du jetzt am Ball bleibst, stehst du in zwei, drei Jahren auf der Posing Bühne”, orakelte der Trainer, doch trotzdem verschrieb Martin Schöller sich dem Bodybuilding nicht mit Haut und Haaren. Er lebte nicht nur für diesen Sport, so wie einige andere aus dem Studio, die dafür aßen, tranken und schliefen. Es erweiterte seine Möglichkeiten, gab ihm Selbstbewusstsein und das Gefühl, den Hollywood-Helden näher zu kommen. Aber der Gedanke, seine Muskeln niemals wirklich gebrauchen zu können, deprimierte ihn. Er trainierte für einen Ernstfall, den es nicht mehr gab. Der starke Recke, der die Prinzessin vor dem übel riechenden Drachen rettete, gehörte der Vergangenheit an. Bestenfalls. Wahrscheinlich erzählten auch die Sagen nur davon, wie die Männer damals gerne gewesen wären. Und vielleicht waren sie damals schon genau solche Stubenhocker wie wir heute ... Vielleicht würden in hundert Jahren die Menschen unsere Hollywood Videos sehen und denken: Das waren noch Zeiten, als man Abenteuer erleben konnte, als dem Mutigen die Welt gehörte, als das Böse immer verlor. Was es den Guten einfach machte, mutig zu sein.
Martin Schöller hatte sich die eher dunklen Haare hellblond färben lassen, und seitdem ringelten sich auch Löckchen auf seinem Kopf. Günther Ichtenhagen fand das albern. Wenn man mit sechsundzwanzig Jahren gesund, zeugungsfähig, aber ohne Beruf und eigenes Einkommen in Ichtenhagen festsaß, hatte man keinen Grund, den Weltmann zu spielen. Mit Schulterpolstern, weiten Ärmeln und V-förmig geschnittenen Oberteilen versuchte Martin Schöller, die Formen seines muskulösen Oberkörpers zu unterstreichen. Schließlich konnte er nicht immer im Muskel-T-Shirt herumlaufen.
Für einen Samstagabend – zwanzig Uhr – war es merkwürdig leer in der Linde. Sogar zwei Skatspieler fehlten noch: Hans Wirbitzki und Wolfhardt Paul, von allen Wolfi genannt. Martin Schöller schob Günther Ichtenhagens Essgeschirr zur Seite, rieb sich die Hände und sagte:
„Na, was ist – spielen wir schon mal einen?”
„Dir sitzt das Geld wohl zu locker”, stichelte Hermann Segler.
„Bis zwölf Uhr hab ich euch alles abgenommen, was ihr in den Taschen habt, hahaha, und dann geh ich noch in den Club! Ich erzähl euch beim nächsten Mal, wie es war, hahaha.”
„Aber vorher zahlst du deine Schulden in die Lottokasse!”
Hermann Segler blickte Martin Schöller zu ernst an, als dass dieser es für einen Scherz halten konnte, trotzdem witzelte Martin Schöller:
„Nun hab dich mal nicht so! Wenn wir sechs Richtige im Lotto haben, zahlst du mir meinen Anteil aus und ich begleich davon sofort meine Lottoschulden. Ha! Ha! Ha!”
„Nee, nee, damit das gleich ganz klar ist. So läuft das nicht. Wer vor der Ziehung nicht bezahlt hat, nimmt auch nicht an der Ausschüttung teil.”
Grinsend zog Martin Schöller sein Portemonnaie aus der Tasche und warf es auf den Tisch.
„Na, das wär ja wohl ein Witz. Da spiel ich jede Woche mit euch zusammen Lotto, und wenn ihr sechs Richtige habt, sagst du ätsch, Schöller, du hast aber vergessen zu bezahlen, hahaha. Juristisch gesehen geht
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