Traumfrau (German Edition)
und Koteletts aus eigener Schlachtung.
Bevor er in die Linde ging, trank er einen Aalborg Jubiläums Aquavit. Dort gab es den Schnaps auch, aber er trank ihn lieber zu Hause. Nicht dass er geizig gewesen wäre, nein, aufs Geld kam es ihm nicht an. Aber in der Linde servierten sie diesen Schnaps auf eine, wie er fand, ungebührliche Art und Weise in einem Pinnchen. Er trank ihn aus einem eisgekühlten, langstieligen Original Aalborg Glas. Solange sie sich in der Linde nicht daran gewöhnen konnten, den Aalborg stilecht zu servieren, würde er ihn eben zu Hause trinken.
Er war um neunzehn Uhr immer der Erste am Stammtisch. Knapp fünf Minuten nach seinem Eintreffen stand das Essen bereits dampfend vor ihm. Darauf war Verlass. Den Salat aß er immer zuletzt. Meist trudelten dann auch schon seine Skatbrüder ein.
Zuerst Hermann Segler, der sofort einen Schnaps brauchte, um zu vergessen, dass der von seiner Frau geführte Lebensmittelladen im Dorf nicht einmal genug für die Miete abwarf. Da ihnen aber das Haus gehörte, waren sie auf das Geld, das der Laden abwarf, nicht angewiesen. Wer einen Wagen besaß, kaufte billiger in der Kreisstadt ein und ging nur zu Seglers, wenn unerwarteter Besuch kam oder um die Kleinigkeiten einzukaufen, für die eine Fahrt in die Kreisstadt nicht lohnte. Für vierzig Brötchen fanden sie jeden Morgen Abnehmer. Im letzten Sommer, als ein Bautrupp die Straße im Dorf aufbaggerte, verkaufte Frau Segler sogar belegte Brötchen an die Bauarbeiter. Die Eistruhe wurde leer, und ein paar zusätzliche Kästen Bier gingen über die Ladentheke. Dieser kurze Aufschwung dauerte aber keine zehn Tage, dann zog der Bautrupp weiter.
Hermann Segler wusste nicht genau, warum seine Frau darauf bestand, den Laden weiterzuführen. Weil die autolosen Einwohner von Ichtenhagen darauf angewiesen waren? Weil eine Geschäftsaufgabe wie eine Niederlage für sie gewesen wäre? Oder einfach nur, weil sie Angst hatte, sich sonst zu Tode zu langweilen?
Er selbst hasste das Geschäft. Er arbeitete als Metzger in der Kreisstadt und verstand seinen Sohn nur zu gut, der kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag das elterliche Haus in Richtung München verlassen hatte und jetzt nur noch zu Weihnachten und den Geburtstagen per Postkarte Lebenszeichen gab.
Für einen guten Skatspieler war Martin Schöller noch zu jung, fand Günther Ichtenhagen. Man konnte an seinem Gesicht ablesen, wie sein Blatt aussah. Seine Kommentare waren zu laut, seine Freude über einen eingeheimsten Stich zu prahlerisch, und er beging einen grundlegenden Fehler: Er steckte die Karten immer in der gleichen Reihenfolge. Von links nach rechts. Erst die Buben, dann alle anderen Trumpfe, ihrer Gewichtigkeit nach geordnet, schließlich die Farben. Wenn Martin Schöller einen Trumpf zog und abwarf, konnte Günther Ichtenhagen jedes Mal abzählen, wie viele Trümpfe er noch in der Hand hielt, und auch ziemlich genau voraussagen, wie hoch sie waren.
Günther Ichtenhagen verriet diese Beobachtung den anderen Skatbrüdern nie. Wahrscheinlich waren sie alle schon von selbst drauf gekommen und hielten ebenfalls den Mund. Dass gerade dieser junge Lümmel, den er früher selbst unterrichtet hatte, immer wieder durch seinen Ordnungsfimmel hereinfiel, amüsierte Günther Ichtenhagen. In der Schule war Martin Schöller ihm nur einmal wirklich aufgefallen. Er sah ihn noch heute vor sich stehen mit frechem Blick, höhnischem Lächeln um die Mundwinkel, mit herausfordernder Körperhaltung, als ginge er zum Duell und nicht zur Tafel. Die krummen und schiefen Striche wollte Günther Ichtenhagen nicht länger durchgehen lassen. Er wischte sie einfach aus und drückte Martin das große Holzlineal in die Hand.
„Was denkst du jetzt?”, fauchte Günther Ichtenhagen seinen aufsässigen Schüler an. Er konnte diesen frechen Blick nicht einfach übergehen.
„Ich denke, dass Sie den Ordnungswahnvorstellungen eines preußischen Hauptfeldwebels erlegen sind.”
Er hatte diesen Satz nie vergessen. Das hatte noch nie einer zu ihm gesagt und erst recht kein Schüler. Fast bewunderte er die Respektlosigkeit dieser Worte. Aus ihnen sprach eine Weitsicht, die Günther Ichtenhagen durchaus respektierte. Das Ablehnen eines übertriebenen Militarismus. Wie dümmlich waren dagegen die Schimpfworte der anderen Schüler.
Martin Schöller hatte seine Möglichkeiten nie voll ausgenutzt. Er wollte immer alles jetzt und sofort und bekam dann gar nichts, auch nicht auf lange Sicht. Er
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