Traumfrau (German Edition)
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Je mehr er über die Gewohnheiten und Lebensbedingungen der Schädlinge wusste, desto leichter fiel es ihm, sie wirkungsvoll zu bekämpfen. Da herumliegende Gartenabfälle den Insekten ideale Winterquartiere boten, kompostierte er im Herbst auch das letzte welke Blättchen. Er wollte es der feindlichen Insektenarmee von Anfang an so schwer wie möglich machen. Aber vor chemischer Kriegsführung schreckte er zurück. Er hatte Zeit genug, um Wollläuse, Schildläuse, Raupen, Schnecken aller Art und ähnliches Getier von den Pflanzen abzusammeln.
Im letzten Jahr hatte er strohgefüllte Blumentöpfe verkehrt herum an Stöcken neben seinen schönsten Pflanzen aufgestellt und die darin entstandenen Ohrenkneifernester verbrannt. Er war froh, dass ihn dabei niemand gesehen hatte. Er kam sich deswegen gemein vor. Auf eine merkwürdige Art hinterlistig. Seitdem versuchte er sich einzureden, dass Ohrenkneifer nicht nur Schaden an den Blüten anrichten, sondern auch irgendeine sinnvolle Aufgabe haben.
Schon vor dreißig Jahren, als er dieses Haus mit fünfzig Prozent Eigenleistung gebaut hatte, träumte er davon, sich im Garten einen eigenen Teich anzulegen. Doch damals war alles andere wichtiger gewesen: die Kinder, ein Auto, seine Ehrenämter in der Gemeinde, der Urlaub in Italien, die Krankheit der Frau. Doch was sollte ihn, den pensionierten Witwer, jetzt noch davon abhalten, sich seinen alten Wunsch zu erfüllen?
Die Befürchtungen der Nachbarn, es könne eine Mückenplage geben, bewahrheiteten sich nicht. Denn für seine Goldfische und Schleierschwänze waren Mückenlarven begehrte Leckerbissen.
Das Ausschachten und Wegkarren der Lehmerde war keine leichte Arbeit für einen Mann in seinem Alter. Den ganzen April über arbeitete er vier bis fünf Stunden täglich. Er nahm fünfzehn Kilo ab dabei. Dann lag endlich das große Loch wie ein weit geöffnetes Maul vor ihm und er senkte eine dreißig Quadratmeter große, schwarze Teichfolie darüber ab. Eine Tonne großer weißer Kiesel war angeliefert worden und versperrte einen Teil der Straße. Trotzdem half ihm niemand. Man schüttelte höchstens den Kopf über ihn.
Er vermischte gerade gute Erde mit Knochenmehl für Sumpf-und Wasserzonen, als sein Körper wie von einer Kugel getroffen zusammenzuckte. Die Schippe glitt ihm aus der Hand, und die Knie gaben nach. Dann saß er auf den Kieselsteinen und wusste, dass dies die erste Warnung war. Vielleicht hatte er noch zwei Jahre, vielleicht noch fünf oder zehn. Jedenfalls sagte ihm der krampfartige Schmerz in der Herzgegend, dass auch sein Leben endlich war.
Zwei Wochen später, in seinem Teich schwammen die ersten Fische, Froschbiss und Teichrosen gediehen prächtig, traf es ihn zum zweiten Mal. Er ging an der Ichte spazieren, verfolgt von einem zwitschernden Dompfaffe, der immer wieder das Quaken des Frosches übertönte, den Günther Ichtenhagen so gern für sein Feuchtbiotop gefangen hätte, als sein Herz zu zerreißen drohte. Diesmal war es schlimmer. Er befürchtete, den Heimweg nicht mehr alleine zu schaffen. Nur wenige Meter weiter wusste er eine Bank aus groben, unbearbeiteten Baumstämmen.
Aber er kam nicht bis dorthin. Die Beine gehorchten ihm nicht mehr, nur über seine Hände und Arme hatte er noch Kontrolle. Er scharrte Laub und Moos zusammen und formte es zu einer Art Kopfkissen. Er konnte es jetzt nicht ertragen, seinen Kopf auf den harten Boden zu legen. Zu Hause schlief er auf großen Daunenkissen. Er besaß keinen Hut, weil der Druck auf seinen Kopf dadurch unerträglich wurde. Selbst sein Lesebrillengestell bereitete ihm Schwierigkeiten. Er wollte den Kopf freihaben. Immer. Und wenn der Kopf mit anderen Gegenständen in Berührung kam, dann mussten sie weich und nachgiebig sein.
Nachdem er eine halbe Stunde oder länger so gelegen hatte, gelang es ihm, sich aufzuraffen und langsam, mit zittrigen Beinen, bis nach Hause zu kommen.
Er kochte nicht für sich. Zwar war die Küche mit allem ausgestattet, doch seit dem Tod seiner Frau hatte er sie nur noch benutzt, um sich Kaffee aufzubrühen oder mal zwei Spiegeleier in die Pfanne zu hauen.
Er frühstückte immer ausgiebig. Vollkornbrot, Tomaten (am liebsten aus dem eigenen Garten), Käse, Margarine. Keine Butter. Mittags aß er fast nichts. Manchmal trank er eine Tasse Kaffee und stippte zwei, drei Kekse hinein. Aber das war selten. Dafür saß er jeden Abend Punkt neunzehn Uhr in der Linde. Dort gab es preiswerte, gute Hausmannskost: große Schnitzel
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