Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen
wegwarf), und sie hatte mit einer neu erworbenen Pistole regelmäßig zu üben begonnen.
Die Zeitungen sagten nichts über den Tod des Herzogs von Stäelmaere und somit auch nichts über die Ernennung eines neuen Vorsitzenden des Kronrats, obwohl sein Stellvertreter, ein Lord Axe with, Bekanntheit erlangt hatte, allein durch sein regelmäßiges Leugnen von Unregelmäßigkeiten. Kein Wort über Robert Vandaariff. Kein Wort über die Parchfeldt-Schlacht. Keine Erwähnung der Contessa di Lacquer-Sforza. Keiner war zum Boniface gekommen, um Miss Temple zu verhaften. Es war, als hätten die Machenschaften der Intrige niemals stattgefunden.
Miss Temple hatte für geschäftliche Dinge ein weiteres Zimmer in einem tiefer gelegenen Stockwerk angemietet, wobei sie den empörten Unterton des Dieners überhört hatte. Sie wusste, dass sie beim Personal des Hotel Boniface inzwischen als Exzentrikerin galt, toleriert nur, solange jeder Verstoß gegen die guten Sitten mit Barem ausgeglichen wurde. Miss Temple kümmerte das nicht. Sie ließ sich auf dem Sofa nieder, die Unterarmtasche auf dem Schoß und eine Hand in der Tasche, welche die Pistole umschloss.
Ein Diener klopfte und meldete einen Mr. Pfaff. Miss Temple betrachtete den Mann, der eintrat, ohne ihm einen Stuhl anzubieten.
»Ihr Name ist Pfaff?«
»Jack Pfaff. Nicholas meinte, ich soll Sie aufsuchen.«
»Nicholas?«
»Der Barkeeper vom Rat.«
» Aha.«
Jack Pfaff war höchstens ein Jahr älter als Miss Temple (eine zum Pflücken reife Fünfundzwanzigjährige). Seine Kleidung musste einst beinahe als modisch gegolten haben – karierte Hose und ein orangefarbener Wollmantel mit eckigen Knöpfen –, wie bei einem jungen Dandy, für den schlechte Zeiten angebrochen waren. An seiner Stimme erkannte Miss Temple, dass dem nicht so war, sondern dass seine Kleidung für einen armen Mann stand, der den Wunsch hatte aufzusteigen.
»Können Sie lesen? Schreiben?«
»Beides, Miss, ganz gut.«
»Welche Waffen besitzen Sie – welche Fähigkeiten ?«
Pfaff griff hinter sich und brachte ein schlankes Messer zum Vorschein. Die andere Hand glitt in eine Innentasche und tauchte mit einem Messingschlagring an den Fingern wieder auf.
»Das taugt nicht gegen einen Säbel oder eine Muskete.«
»Soll ich etwa gegen Soldaten kämpfen, Miss?«
»Ich hoffe nicht, zu Ihrem eigenen Besten. Wie stehen Sie zum Töten?«
»Das Gesetz untersagt es, Miss.«
»Und wenn Ihnen ein Mann ins Gesicht spucken würde?«
»Du meine Güte, ich würde mich wie ein guter Christenmensch zurückziehen.« Pfaff zog freundlich die Brauen hoch. »Andererseits ist das Ins-Gesicht-Spucken meistens dem Trinken zuzuschrei ben. Vielleicht wäre es angemessener, einem spuckenden Mann die Kehle durchzuschneiden, um den Teufel in ihm zu ärgern.«
Miss Temple hatte für überflüssige Bemerkungen nichts übrig. »Wieso hält dieser Nicholas Sie für geeignet?«
»Ich bin gut darin, Türen zu öffnen.«
»Ich habe nicht nach einem Dieb gefragt.«
»Ich meine das im weiteren Sinne, Miss. Ich bin jemand, der Möglichkeiten findet.«
Miss Temple verkniff sich eine spitze Bemerkung. Einem Mann wie Pfaff, der nicht mehr zu umgehen war, musste mit Intelligenz und Freundlichkeit begegnet werden.
»Kannten Sie Kardinal Chang?«
»Jeder kannte ihn – er war eine ungewöhnliche Erscheinung.«
»Waren Sie mit ihm befreundet?«
»Hin und wieder ließ er sich ein Glas spendieren.«
»Warum haben Sie das getan?«
»Sie kannten ihn, Miss – warum sollte ich nicht?« Pfaff lächelte gelassen, während er ihre Tasche mit der Hand darin beobachtete. »Vielleicht klären Sie mich auf, um was es bei dem anstehenden Geschäft geht.«
»Setzen Sie sich, Mr. Pfaff. Stecken Sie diese Dinger weg.«
Pfaff verstaute die Waffen an ihrem Platz, ging zu einem Lehnstuhl und warf seine Rockschöße hoch, bevor er sich setzte. Miss Temple zeigte auf ein silbernes Service auf dem Tisch.
»Hier ist Tee, wenn Sie wünschen. Ich erkläre Ihnen, was ich brauche. Und dann erläutern Sie mir – mit Ihren Türen –, wie man es am besten anstellt.«
An diesem Abend aalte sich Miss Temple wiederum in der Kupferwanne, während rotbraune Haarsträhnen wie totes Gras im Wasser schwammen. Vor Müdigkeit konnte sie nicht weiter nachdenken, und die Trauer, der sie aus dem Weg zu gehen versuchte, lauerte ganz in der Nähe.
Sie hatte Mr. Pfaff nur so viel mitgeteilt, dass er seine Arbeit aufnehmen konnte, doch seine söldnerhafte Art, mit
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