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Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen

Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen

Titel: Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Dahlquist
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der er die Plätze von Svenson und Chang eingenommen hatte, ließ Miss Temple ihre Abwesenheit spüren. Noch beunruhigender war, dass das vertrauliche Gespräch mit Pfaff zum ersten Mal seit dem Verlassen von Parchfeldt Park Miss Temples Erinnerungen an das blaue Glas geweckt hatte. Nicht dass Pfaff attraktiv gewesen wäre – sie fand ihn im Gegenteil abstoßend mit seinen braunen Zähnen und seinem struppigen, wie schmutziges Stroh aussehenden Haar –, aber je länger er in ihrer Nähe gewesen war, desto stärker hatte sie das gefürchtete körperliche Ziehen gespürt, als würde man unsichtbare Gliedmaßen strecken, die sehr lange taub gewesen waren.
    Miss Temple nahm in der Kupferwanne einen tiefen Atemzug und stieß die Luft langsam wieder aus, während sie sich an ihre Ängste heranpirschte. In ihrem Kampf gegen die Intrige hatte sie sich selbst dem Inhalt von zwei blauen Glasbüchern ausgesetzt. Das erste war von der Contessa di Lacquer-Sforza willkürlich zusammengestellt worden als eine Opiumhöhle aus Lust und Gewalt. Während sie in seine wirbelnden Tiefen gestarrt hatte, hatte Miss Temple die klaren, erregenden Erinnerungen zahlreicher Leben – in ihrem Körper und ihrem Verstand – durchlebt, und ihre buchstäbliche Tugendhaftigkeit war angesichts der Ausschweifung, die sie erfahren hatte, zu einer dünnen Stimme des Protests geworden. Seither hatten diese Bücher am Rand ihrer Gedanken gelauert, und schon ein Stück Haut oder der Geruch nach Haar, das bloße Rascheln von Stoff, konnte Lustgefühle wecken, die Miss Temple aufgrund ihrer Intensität in den Bann schlugen.
    Das zweite Buch hatte die Erinnerungen eines einzigen Mannes, des Comte d’Orkancz, enthalten, in dem Moment in einem abstürzenden Luftschiff von Francis Xonck in blaues Glas eingespeist, als der Comte verblutet war. Der Geist des großen Mannes war eingefangen worden, doch die vergiftende Berührung des Todes hatte seinen Charakter zerstört und die differenzierte Haltung des Ästheten in bittere Verachtung für das Leben verwandelt. Miss Temples flüchtiger Eindruck von diesem zweiten Buch hatte ihr den Atem geraubt, als wäre ihre Kehle mit klebrigem Teer bestrichen worden. In Unwissenheit über die vergiftete Natur dieser Erinnerungen waren die verbleibenden Fraktionen der Intrige in der Xonck’schen Waffenfabrik in Parchfeldt zusammengekommen und hatten vereinbart, den Inhalt des Buchs in den geleerten Geist von Robert Vandaariff einzufügen – in der Hoffnung, auf einen Schlag das alchemistische Wissen des Comte für ihre Zwecke nutzen und Vandaariffs Vermögen, das größte im Land, übernehmen zu können. Nachdem der Comte in Vandaariffs Körper wieder zum Leben erwacht war, hatte er trotz seiner seelischen Instabilität innerhalb kürzester Zeit über seine früheren Lakaien gesiegt: Mrs. Marchmoor, Francis Xonck, Charlotte Trapping und Alfred Leveret waren alle tot. Nur die Contessa hatte überlebt, um sich gegen ihn zur Wehr zu setzen … nur die Contessa und Miss Temple.
    In Parchfeldt hatte Miss Temple ihre eigene Offenbarung erlebt. Als sie durch die Fabrik gelaufen war, hatte sie auf einmal die Funktion jeder einzelnen Maschine gekannt. Auch wenn er vergiftend war, hatte ihr der Kontakt mit den Erinnerungen des Comte doch Kenntnisse über seine Wissenschaft vermittelt. Wenn Robert Vandaariff noch am Leben war, konnte es sein, dass Miss Temple – die ihr Leben lang jeder Form von Studium gleichgültig gegenübergestanden hatte – die schrecklichen Bilder des Comte vorwegnahm.
    Gelähmt von Trauer, hatten die beiden Bücher gerade so lange in Miss Temples Gedächtnis geschlummert, dass sie hoffte, es würde so bleiben. Jetzt aber, ausgelöst von der hässlichen, jedoch provozierenden Vorstellung, wie Pfaffs Zunge einen Teetropfen vom Tassenrand ableckte, war die Erinnerung zurückgekehrt. Nackt und allein, wie sie war, wusste Miss Temple, dass sie sich zur Herrin über diese Abgründe in ihr machen musste, oder sie wäre für immer deren Sklavin.
    Sie ließ sich bis zum Kinn ins Wasser sinken und streckte ein Bein aus, sodass ihr blasser Fuß tropfend über den Wannenrand hing. Sie horchte auf Marie, hörte nichts und rückte die Hüften zurecht. Die Finger ihrer rechten Hand streiften ihr Schamhaar und berührten die Haut darunter. Miss Temple schloss die Augen und lenkte ihre Gedanken an einen Ort, den zu betreten sie sich nie erlaubt hätte, bis auf den impulsiven Moment in der Dunkelheit von Parchfeldt, und der

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