TTB 116: Freibeuter im Weltraum
Mann, fast zwei Meter groß und entsprechend breit, mit grob gemeißelten Zügen und einer langen Stirnnarbe unter rötlichbraunem Haar, das in diesem seinem sechsundvierzigsten Jahr bereits grau gesprenkelt war. Die Waffe war unter seinem Umhang verborgen.
»Nun …« Der Spielmann zuckte nervös mit den Schultern. »Das hier ist ein öffentlicher Platz.«
Heim zog eine Taschenflasche mit Brandy hervor und hielt sie dem Mann hin. »Wollen Sie mit mir trinken?«
Der Musikant nahm sie, zog den Korken und führte sie an den Mund. Nach dem ersten Schluck prustete er. »Ahhh!« Er trank noch einmal, bevor er sie zurückgab. »Danke, das habe ich gebraucht.«
Heim prostete ihm zu, hockte sich neben den Poller und trank.
»Sie sind auch kein Amerikaner, wie?« fragte der Sänger. Seine Stimme war unsicher; offenbar versuchte er eine möglichst harmlose Unterhaltung anzuknüpfen.
»Naturalisiert«, antwortete Heim. »Meine Eltern waren Norweger, aber ich wurde auf Gea geboren, Tau Ceti II.«
»Was?« Der fahrende Sänger richtete sich auf. »Sie sind Raumfahrer?«
Heim nickte. »Kriegsmarine, bis vor fünfzehn Jahren. Gunnar Heim ist mein Name.«
»Ich bin Endre Vadasz.« Seine Finger verschwanden beim Händedruck in Heims Pranke. »Ich komme aus Ungarn, aber ich habe die letzte Dekade nicht auf der Erde verbracht.«
»Ja, ich weiß«, sagte Heim vorsichtig. »Ich sah Sie kürzlich in einem Fernsehinterview.«
Vadasz spuckte wortlos aus.
»Man gab Ihnen keine Gelegenheit, viel zu sagen«, meinte Heim.
»Nein. Sie würgten alles ab, was ihnen nicht in den Kram paßte. ›Sie sind Musiker, Mr. Vadasz. Sie haben sich mit Ihrer Musik von einem Stern zum anderen weitergearbeitet und den Kolonisten und Nichtmenschen die Lieder und Balladen der alten Mutter Erde nahegebracht. Ist das nicht interessant!‹«
»Dabei wollten Sie von Neu-Europa erzählen, und man hat Sie immer wieder vom Thema abgebracht. Ich frage mich, warum.«
»Sie hatten den Wink bekommen. Es war zu spät, mein angekündigtes Auftreten abzusagen, darum mußte man mich eben am Sprechen hindern.« Vadasz warf den Kopf in den Nacken und stieß ein bellendes Lachen aus. »Bin ich verrückt? Ist diese Verschwörung gegen mich wahr, oder bilde ich sie mir bloß ein? Und was verspricht man sich davon? Quinn hat es zugegeben, als ich ihm hinterher Vorwürfe machte. Er meinte, die Station könne ihre Sendelizenz verlieren, wenn sie sich zur Verbreitung von Behauptungen hergeben würde, die in diesen schweren Zeiten die Weltföderation in Verlegenheit brächten. Seit meiner Ankunft auf der Erde habe ich mit Beamten gesprochen, zivilen und militärischen. Die freundlichste Antwort war, daß ich mich irren müsse. Aber sie hatten meine Beweise gesehen. Sie wußten Bescheid.«
»Haben Sie es bei den Franzosen versucht? Die müßten noch am ehesten geneigt sein, etwas zu unternehmen.«
»In Paris kam ich nicht weiter als bis zu einem Ministerialdirigenten. Er war über meine Geschichte bestürzt, wollte mich aber an keinen seiner Vorgesetzten weiterempfehlen. Inzwischen habe ich es aufgegeben.«
»Soweit ich aus Andeutungen und Gerüchten entnommen habe, die trotz der offiziellen Zensur durchgesickert sind«, sagte Heim bedächtig, »ist der Hauptinhalt Ihrer Geschichte der, daß die Leute auf Neu-Europa nicht tot sind. Habe ich recht?«
»Genau. Sie sind in die Berge geflohen. Alle.«
»Die Haute Garance.« Heim nickte. »Ein gutes Guerillagebiet, unübersichtlich, größtenteils noch nicht kartographisch aufgenommen. Und man kann aus dem Land leben.«
Vadasz starrte ihn an. »Sie waren dort!«
»Nicht nur einmal. Als ich noch in der Marine war, steuerten wir Neu-Europa gern an, wenn Überholungen fällig waren. Einmal verbrachte ich auf Krankheitsurlaub vier Monate dort. Aber das ist zwanzig Jahre her. Der Ärger mit Alerion kam erst viel später …« Ein geistesabwesender Klang kam in seine Stimme. Die Erinnerungen kehrten zurück. Erinnerungen an die roten Ziegeldächer und die schmalen, steilen Gassen von Bonne Chance, die das Ufer des Carsac zur Baie des Pêcheurs begleiteten, wo das Meer in purpurnen und silbernen Farben bis ans Ende der Welt reichte. Erinnerungen an faule Tage beim Pernod in einem Straßencafé, an Jagdausflüge ins Hochland mit Jacques Boussard und Toto Astier. Und an Madelon …
Er schüttelte sich und fragte abrupt: »Wissen Sie, wer den Widerstand leitet?«
»Ein gewisser Oberst de Vigny von der planetarischen Polizei. Er
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