Tuch und Tod (Ein Berringer-Krimi) (German Edition)
zu können?
Vielleicht werde ich ihn einfach mal fragen, dachte Berringer. Zumal seine Wohnung quasi auf dem Weg zu ihm nach Hause lag.
Das Düsseldorfer Hafenviertel wandelte sich in den letzten Jahren immer mehr zu einem Revier für Medienleute und Künstler. Restaurants der gehobenen Klasse waren ebenso wie Pilze aus dem Boden geschossen wie die Produktionsstudios für Film und Fernsehen an der Kaistraße. Dazwischen gab es Werbeagenturen und Galerien.
Till Gerath bewohnte eine loftartige Wohnung, die wohl gleichzeitig auch als Atelier diente. Berringer fragte sich, wie sich ein relativ unbekannter Künstler das leisten konnte. Offenbar war Till Gerath in der glücklichen Lage, einen Mäzen zu haben.
Berringer musste mehrfach klingeln, bevor jemand reagierte und sich die Tür öffnete.
Volltreffer, dachte der Detektiv, als er den Lockenkopf vor sich sah, dem er in der vergangenen Nacht begegnet war. Der Mann hatte eine Kognakflasche in der Linken und erstarrte zur Salzsäule, als er Berringer erkannte. Von einem Augenblick zum nächsten schien Till Gerath so nüchtern wie ein reformierter Prediger.
„ Guten Abend“, sagte Berringer ruhig. „Wir kennen uns flüchtig.“
„ W-was wollen Sie?“
„ Dasselbe könnte ich Sie fragen. Oder wollen Sie mir jetzt erzählen, dass Sie zur zufällig genau dort waren, wo ich mein Hausboot vertäut habe?“
Till Gerath wirkte nervös. „Wollen Sie hereinkommen?“
„ Gern.“
Berringer folgte dem jungen Mann in die Wohnung, die bei Tag wegen der großen Fensterflächen vermutlich lichtdurchflutet war.
Berringer ließ den Blick über das selbst für ihn erschreckende Maß des Chaos schweifen, das sich ihm darbot. Dagegen wirkte ja sogar sein Schiffchen wie die Wohnung eines Zwangskranken, der seine Büroklammern abzählte und die Bleistifte nach Länge sortierte.
Das Atelier und die Wohnung waren eins. Ein halb fertiges Gemälde ruhte auf einer Staffelei. Es fiel Berringer auf, dass überall nur rote Farbe verwendet wurde. Mehrere volle Eimer standen im Raum. Man musste aufpassen, nicht in einen der Kleckse auf dem Fußboden zu treten.
Eine junge Frau saß an einem niedrigen Wohnzimmertisch aus Glas. Sie trug nur ein Hemd, das nicht zugeknöpft war. Sie schien Berringer gar nicht zu bemerken, war voll und ganz darauf konzentriert, ein kleines Häufchen Kokain in ihre rote entzündete Nase zu saugen. Aber sie war schon zu weggetreten dafür. Vielleicht hatte sie vorher auch noch getrunken. Jedenfalls war sie nicht in der Lage, die Hand mit dem abgeschnittenen Strohhalm ruhig zu halten. Außerdem fing sie im entscheidenden Moment immer an zu kichern. Den Großteil des Kokainhäufchens blies sie sich dann in einer ziemlich unbedachten Aktion selbst weg.
Sie fluchte, kehrte den kärglichen Rest des Kokains mit einem kleinen Stück Karton zusammen und versuchte es noch mal. Als sie es endlich geschafft hatte, stieß sie ein wohliges Brummen aus, stand taumelnd auf und kicherte wieder.
Plötzlich erstarrte sie.
Ihre Augen wurden so groß, dass sie aus den Höhlen zu fallen drohten. Sie starrte Berringer an wie ein Gespenst und schrie. Ein Schrei, so schrill und durchdringend, wie man ihn aus den Edgar-Wallace-Verfilmungen der Sechziger kannte. Ein Fanal des ultimativen Schreckens, aber so überdreht, dass man die zur Schau gestellte Furcht nicht glauben konnte und eher für Hysterie hielt. Sie raffte vorn ihr Hemd zusammen und lief über die Wendeltreppe hinauf ins Obergeschoss.
„ Sie ist ein bisschen schreckhaft, sonst aber ganz in Ordnung“, meinte Till Gerath.
Berringer grinste. „Ihr Modell?“
„ Nein.“
„ Malen Sie keine Frauen?“
„ Doch. Aber ich hätte nicht genug Kokain, um sie dazu zu bringen, lange genug still zu sitzen.“
Er räumte ein paar Zeitungen von einem Ledersessel und setzte sich. Daran, seinem Gast einen Platz anzubieten, dachte er nicht. Berringer trat in eine Farblache. Sie war noch feucht. War ein Fehler, herzukommen, dachte er.
„ Wer finanziert Ihnen das alles, Herr Gerath?“
„ Wie spießig das klingt.“
„ Und wenn schon! Warum beantworten Sie nicht einfach die Frage?“
„ Es gibt noch wahres Mäzenatentum.“
„ Ihre Mutter?“
„ Richtig geraten. Sie versteht nicht, was ich hier tue. Das ist nicht verwunderlich, schließlich verstehe ich es selbst kaum. Aber sie findet es gut und erkennt meinen Weg an. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater, der …“ Till Gerath verstummte und nahm einen
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