Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
(einige waren sogar high oder betrunken gewesen) und zu begreifen versucht, wie dieses merkwürdige Etwas, das die Gesellschaft veränderte, sich kontrollieren ließe oder wie sie sich einen Anteil daran sichern könnten.
Ev rang sich ein Lächeln über die Geschichtchen seiner Freunde ab und bemühte sich nach Kräften, die Trauer und Niedergeschlagenheit in seiner Miene zu kaschieren.
Es gab einen, dem es vielleicht hätte gelingen können, Ev zum Lächeln zu bringen: der Mann, der gerade im Büro nebenan mit gesenktem Kopf auf und ab ging und das Telefon ans Ohr presste. Dick Costolo, der ehemalige Stand-up-Comedian, der mit Steve Carell und Tina Fey auf der Bühne gestanden hatte. Eben der Dick Costolo, den Ev »beschlossen hatte zu bitten«, Twitters neuer Vorstandschef zu werden, der dritte Chef eines erst vier Jahre alten Unternehmens.
Aber auch Dick war nicht in leutseliger Stimmung. Er besprach gerade mit den Verwaltungsratsmitgliedern, die an dem Coup beteiligt waren, den Wortlaut des Blogeintrags, der bald an die Medien gehen sollte, und seine Ansprache an Hunderte Twitter-Mitarbeiter, sobald er das Mikrofon von Ev übernehmen würde.
Er ging auf und ab, während sie den nächsten Schritt planten: die Rückkehr von Jack Dorsey, dem ersten Vorstandschef und Mitbegründer von Twitter, den Ev 2008 in einem ähnlichen Machtkampf von der Unternehmensspitze verdrängt hatte. An diesem Vormittag hatte Jack eigentlich mit seiner Rückkehr in die Firma gerechnet, die er bis zu seiner Absetzung wie ein Besessener aufgebaut hatte.
Aber einige Stunden zuvor hatte der Verwaltungsrat Jack mitgeteilt, dass seine Rückkehr zu Twitter nicht an diesem Tag stattfinden, sondern sich erneut verzögern sollte. Während der Ereignisse dieses Vormittags war Jack nur einige Häuserblocks entfernt in seinem Büro bei dem mobilen Bezahldienst Square, den er kürzlich gegründet hatte.
Nachdem er in seinem Penthouse an der Mint Plaza aufgewacht war, das von Sichtbeton dominiert war, hatte er zur Arbeit das mehrere Tausend Dollar teure Outfit angezogen, das mittlerweile zu seinem Markenzeichen avanciert war: ein elegantes Dior-Hemd, dunkles Jackett und Rolex-Uhr. Das Ensemble unterschied sich drastisch von dem ungepflegten T-Shirt und der schwarzen Mütze,die er getragen hatte, als man ihn zwei Jahre zuvor aus Twitter verdrängt hatte.
Aber auch wenn seine Aufmachung an diesem Morgen eine andere war, empfand er noch dieselbe Verachtung für seinen früheren Freund und Twitter-Mitbegründer Ev, der Jacks geplante Rückkehr in das Unternehmen vereitelt hatte. Ev war zwar erfolgreich als Vorstandschef abgesetzt, aber nicht, wie ursprünglich geplant, rundheraus gefeuert worden. Zumindest noch nicht.
In der Twitter-Zentrale schaute Ev auf, als es auf 11:30 Uhr zuging. Zeit, zu gehen.
Ev hatte keine Ahnung, dass er in einigen Monaten gar nichts mehr mit dem Unternehmen zu tun haben würde. Biz und Jason folgten ihm den Korridor entlang, wie sie es jahrelang getan hatten, nicht ahnend, dass man auch sie zu gegebener Zeit aus dem Unternehmen drängen würde.
Schweigend gingen sie in die Firmencafeteria, vorbei an bunten Wänden, weißen Freischwingern und ratlosen Mitarbeitern, die sich einen Sitzplatz suchten. Keiner der Twitter-Mitarbeiter wusste, was sie von ihrem beliebten Chef, Evan Williams, zu hören bekommen würden. Sie hatten keine Ahnung, dass das Unternehmen, für das sie arbeiteten und das die Welt in vielfältiger Hinsicht verändert hatte, im Begriff stand, sich selbst für immer zu verändern.
Kapitel I
#Gründer
@Ev
Evs Fahrradreifen knirschten auf dem Kies, als er den Schotterweg entlangrollte, vorbei an den endlosen Reihen grüner und gelber Weinstöcke. Die kalifornische Morgensonne wärmte seinen Rücken mit ihrer orangeroten Glut, während er mit seinen leuchtend orangefarbenen Turnschuhen in die Pedale trat und allmählich auf der gefürchteten 6,5 Kilometer langen Fahrt zur Arbeit Geschwindigkeit aufnahm.
Sobald er sich der Morris Street in Sebastopol näherte, rauschten Autos an ihm vorbei und verursachten kleine Luftwirbel, die den Schweiß auf seiner Stirn trocknen halfen. In diesem Moment sagte er sich wieder einmal, dass er sich bald ein Auto würde leisten können, um zur Arbeit zu fahren, statt sich auf einem alten Fahrrad abstrampeln zu müssen, das er sich von einem Kollegen geliehen hatte.
Eigentlich hätte er nie gedacht, dass er in San Francisco einen eigenen Wagen brauchen würde, denn er
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