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Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
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1.
    Auf der Straße breitete sich Panik aus. Sie zeigte sich in den Gesichtern der Menschen und in ihren hastigen Bewegungen.
    Lia starrte im morgendlichen Halbschlaf auf den Anblick, der sich vom Bus aus bot. Alle Passanten auf dem Gehsteig hatten plötzlich den gleichen Gesichtsausdruck, eine von ungeheurer Übelkeit ausgelöste Grimasse.
    Es war Anfang April, und Lia befand sich auf dem Weg zur Arbeit. Jeden Morgen die gleiche Zeremonie der Unterwerfung, wenn sie dem Verkehrsstrom, der die zu große, überfüllte Stadt durchschnitt, eine Stunde opferte. Das Leben in London bedeutete für Lia, mit anderen Menschen zusammengepfercht zu werden, ihre eigene kleine Sphäre ständig mit anderen teilen zu müssen.
    An diesem Morgen auf der Holborn Street, ein paar Stopps vor der Endhaltestelle Stonecutter Street, inmitten der Fußgänger, sollte ihr etwas widerfahren, das alles ändern würde.
    Der Augenblick vor der Katastrophe. So sieht er aus.
    Auf dem Gehsteig stand ein Wagen, um den sich eine Menschenmenge versammelt hatte. Er war die Quelle der Furcht, der Nullpunkt, von dem die Panik ausging.
    Das Fahrzeug, ein großer weißer Volvo, parkte schräg auf dem Gehsteig, als hätte ihn jemand Hals über Kopf verlassen. Im Wageninneren war niemand zu sehen, doch der Kofferraum stand offen. Die Leute zeigten darauf, immer mehr blieben stehen.
    Und immer, wenn jemand nahe genug herangekommen war, um einen Blick in den Kofferraum zu werfen, veränderte sich sein Gesicht: Entsetzen verzerrte die Züge. Was auch darin lag, es ließ die Menschen aussehen, als hätte man ihnen mit der geballten Faust in den Magen geschlagen. Einige rannten schockiert weg von dem Wagen. Doch es kamen so viele hinzu, dass die Traube um das Fahrzeug herum dennoch immer größer wurde.
    Durch die offene Bustür hörte Lia die Ausrufe der Passanten. Es waren erschrockene, abgerissene Sätze, die nicht verrieten, was passiert war. Ein Mann sprach am Handy mit der Notrufzentrale. Eine alte Frau hatte die Augen geschlossen und stammelte immer wieder: »O mein Gott. O mein Gott.«
    Lia stand auf, um besser zu sehen, doch in dem Moment schaukelte der Bus und die Türen schlossen sich. Der Fahrer gab Gas, um auf die Fahrbahn auszuscheren. Von der unmittelbar folgenden Vollbremsung wurde Lia erst gegen die Lehne der Vorderbank, dann zurück auf ihren eigenen Sitz geschleudert. Zwei Wagen hatten den Bus geschnitten und wären um Haaresbreite mit diesem zusammengestoßen.
    Erst als sie das Blaulicht des ersten Wagens sah – es war ein Polizeifahrzeug, das auch noch blinkte, als der Wagen schon stand –, wurde Lia bewusst, dass sie die heulende Sirene bereits seit einer Weile gehört hatte. Das zweite Fahrzeug war der Kleintransporter eines Fernsehsenders, auf dessen Seite das ITV -News-Logo prangte.
    Der Bus fuhr weiter, und schon war Lia zu weit entfernt, um in den Kofferraum des Volvo sehen zu können. In Sekunden blieb die seltsame Szene hinter ihr zurück.
    Als Lia ihren Arbeitsplatz erreichte, hatten bereits alle von dem Vorfall gehört. Die vierzehntägig erscheinende Zeitschrift Level war zwar kein Medium für Tagesereignisse, dennoch liefen immer die neuesten Nachrichten über die Computermonitore und den großen Fernseher in der Redaktion.
    Im Kofferraum des weißen Volvo in der Holborn Street waren die Überreste einer schlimm zugerichteten Leiche gefunden worden. Sie war so zerquetscht, dass die Polizei den ersten Berichten zufolge kaum Angaben über das Opfer machen konnte. Man vermutete, dass es sich nur um eine, und zwar um eine Frauenleiche handelte, doch selbst das stand nicht mit Sicherheit fest.
    »Wahnsinn. Ich war gerade dort. Ich habe den Wagen gesehen«, sagte Lia zu Sam, einem Journalisten, der am Schreibtisch neben ihr saß.
    Sam nickte und wandte sich wieder den Nachrichtentelegrammen zu.
    Bin ich Augenzeugin eines Verbrechens? , überlegte Lia.
    Nein. Ich bin Augenzeugin der Augenzeugen, ein Mensch, der gesehen hat, wie andere Menschen über ein Verbrechen erschrecken.
    Das ist eigentlich gar nichts.
    Sie betrachtete das Bild auf dem Fernsehschirm, ein weißes Auto mit geöffnetem Kofferraum auf einem Bürgersteig. Darunter stand: »Brutaler Mord in der Londoner City.« Lia spürte, wie die Welle der Übelkeit, die sie auf der Straße beobachtet hatte, nun auch sie erfasste und zur Toilette trieb.

2.
    Die in dem weißen Volvo gefundene Leiche dominierte den ganzen Tag über alle Nachrichten.
    Es fiel Lia schwer, sich zu

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