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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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und wie es näher kam auf fünfzehn Schrittlängen, auf zehn, auf acht … Sie hörten das Untier atmen. Ein unbegreiflicher Geruch stieg ihnen in die Nase. Nach Bär roch es immer noch und jetzt viel deutlicher nach Blut. Aber es roch noch nach etwas anderem. Brandig roch es mitten in dem feuchten Dunst der Höhle. Wie sonderbar.
    Die Große Bärin hatte wieder angehalten.
    Wenn sie sie nur hätten sehen können. Im Dunkeln war es grauenhaft.
    Es roch immer stärker nach Brand, nach brennender Haut.
    Ein Schimmer verbreitete sich in der Finsternis. Feuchte Steine, die wie Fabelwesen geformt waren, tauchten aus dem Schwarzen mit einem feuergelben Glänzen auf. Das Deckengewölbe einer riesigen Höhlenhalle wurde für das Auge der Knaben sichtbar und an der gegenüberliegenden Wand die beiden finsteren Löcher, aus deren einem das Ungeheuer herangeschlichen war.
    Und sie sahen die Große Bärin zwischen Schimmer und Schatten.
    Das Grauen rieselte ihnen über den Rücken. Ihr Blick heftete sich an die langen gelben Krallen. Eine einzige war so dick wie zwei Mannsfinger; mit fünf solcher Krallen war jede der dunklen Riesentatzen bewehrt. Das Ungeheuer war von überwältigender, unfaßbarer Größe; die breite Brust, der mächtige Kopf, dieser dicke Hals, den Hapedah mit beiden Armen nicht hätte umschlingen können. Das Untier hatte den Kopf bösartig gesenkt. Die Knaben sahen die scharfen Zähne in der langen, spitz zulaufenden Schnauze. Seltsam klein funkelten die Bärenaugen rechts und links der gewölbten Stirn.
    Das Tier begann sein Gewicht auf die Hintertatzen zu verlagern und die Vordertatzen im Gelenk locker zu machen: das Zeichen zum Angriff. Die Höhle war jetzt erleuchtet und der Brandgeruch stark und beißend.
    Hapedah und Tschaske schlossen die Augen. Es war doch besser, die Bärin nicht zu sehen. Ihre Knabengestalten versperrten die Mündung des Ausgangs ganz. Wenn sie hinaus wollte aus dem Berg, konnte sie nicht an ihnen vorbei.
    Von einer leisen Berührung an der Schulter schrak Hapedah auf. Er war vom Rücken her angefaßt worden. Er öffnete die Augen, aber sein Blick haftete wie festgenagelt an der braunen Urriesin, die feindlich fauchend vor ihm aufgerichtet stand und mit den dunklen Tatzen durch die Luft fuhr. Der Knabe vermochte nicht, sich umzuwenden.
    Der Lichtschein wurde matter. Eine Hand faßte Hapedah hart an und riß ihn rücklings zu Boden, in den Höhlengang hinein. Mit Tschaske geschah dasselbe.
    Die Füße eines Mannes schritten über die Knaben hinweg.
    Als die Jungen sich wieder erhoben, sahen sie den Mann vor sich an der Mündung des Ganges in der Höhlenhalle stehen. In seiner Linken trug er eine leuchtende Fackel, die er wieder hochhielt; ein dickes Scheit Holz, an dessen Ende eingeklemmte Büffelhautstücke brannten. Der Mann war schlank und groß.
    Tokei-ihto!
    Hapedah griff nach der feuchten Wand des Höhlenganges, um sich vorzutasten. Aber sein Fuß stockte wieder.
    Der Häuptling war mit einem Sprung aus der Mündung des Höhlenganges hinaus in die große Felsenhalle gelangt; unter den kralligen Tatzen der aufgerichteten Bärin war er vorbeigeschnellt. Jetzt stand er dem Tier zur Seite, die Fackel in der Hand. Nicht einmal er hätte mit hochgestrecktem Arm die ganze Höhe des Tieres erreichen können; es überragte ihn bei weitem. Schnaubend und beinahe stöhnend drehte es sich und suchte seinen Feind.
    Der Häuptling hatte keine Waffen in der Hand. Er trat einige Schritte zurück, eine Bewegung, die gegen die Regeln der Bärenjagd war. Er bückte sich, ohne das fauchende Ungetüm aus den Augen zu lassen, und steckte die Fackel in einer Felsspalte fest. Dann richtete er sich wieder auf.
    Die Bärin versuchte ihm zu folgen. Sie tappte und schlurfte auf den Hinterbeinen, und ihre Vorderpranken schlugen durch die Luft. Sie fiel wieder auf alle viere nieder. Ihre Spur war von Blut gekennzeichnet.
    Der Häuptling war stehengeblieben und machte keine Bewegung mehr. Schritt um Schritt näherte sich ihm das massige Untier, das ihm auch jetzt noch fast bis zur Schulter reichte. In der Mitte der Felsenhalle aber sahen die Knaben auf einmal das, was vorher so rätselhaft um die Bärin herumgetorkelt war: ein Bärenjunges. Es war braun wie seine Mutter. Verzweifelt schaute es umher. Es war sicher nicht älter als zwei Monate und bisher nicht gewohnt, der Mutter selbständig zu folgen.
    Wenn eine Bärin Junge hatte, war ihre Feindschaft gegen jeden Angreifer unerbittlich. Wütend verfolgte

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