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Ueberflieger

Titel: Ueberflieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Sie genug Treibstoff, um es zum Flughafen zu schaffen?«
    Hier endet das Protokoll.
    9.
    »Wenn man diesen Unfall besser verstehen will, muss man wissen, dass die New Yorker Fluglotsen für ihre Rüpelhaftigkeit und ihre Schikanen bekannt sind«, erklärt Ratwatte. »Sie sind allerdings auch sehr gut. Sie manövrieren eine phänomenale Menge von Flugzeugen auf allerengstem Raum. Unter Piloten kursiert die Geschichte von einem Kollegen, der sich nach der Landung auf den Rollbahnen verfährt. Das ist ganz schnell passiert, wenn Sie unten am Boden sind. Es ist ein Labyrinth. Seine Fluglotsin reagiert sauer und sagt zu ihm: ›Halten Sie an. Tun Sie nichts. Sprechen Sie nicht mit mir, ehe ich mit Ihnen spreche.‹ Und sie lässt ihn einfach da stehen. Schließlich nimmt er sein Mikrofon und sagt zu ihr: ›Madam, war ich in einem früheren Leben mit Ihnen verheiratet?‹
    Sie sind unglaublich. Sie meinen: ›Ich hab hier das Sagen. Du bist still und tust, was ich dir sage.‹ Die schnauzen einen an. Aber wenn einem das nicht passt, dann muss man eben zurückschnauzen. Und dann antworten sie: ›Okay, wie Sie wollen.‹ Aber wenn man das nicht tut, dann überfahren die einen. Ich erinnere mich an einen Flug der British Airways nach New York. Der Tower hat den Flug hin- und hergeschoben. Die britischen Piloten sagten über Funk: ›Sie sollten mal nach Heathrow gehen und lernen, wie man mit Flugzeugen umgeht.‹ So geht es da zu. Wenn man nicht an diese Art Schlagabtausch gewöhnt ist, kann der New Yorker Tower extrem einschüchternd wirken. Die Jungs von der Avianca waren einfach durch diese ganze Art eingeschüchtert.«
    Es ist kaum vorstellbar, dass sich Ratwatte im Tower des Kennedy Airports kein Gehör verschafft – nicht, weil er selbst ein Rüpel mit |180| einem enormen Ego wäre, sondern weil er die Welt anders sieht. Wenn er im Cockpit Hilfe braucht, weckt er die zweite Mannschaft auf. Wenn er nicht in Moskau landen will, dann fliegt er eben nach Helsinki. Und wenn er in Helsinki mit dem Wind landen müsste, dann spricht er mit dem Tower und sorgt dafür, dass er gegen den Wind landet. Als sie an diesem Morgen wieder aus Helsinki abfliegen wollten, hatte er das Flugzeug an der falschen Startbahn aufgestellt, und sein Erster Offizier machte ihn sofort auf den Fehler aufmerksam. Ratwatte muss lachen, wenn er daran denkt. »Masa ist Schweizer. Er hat sich sehr gefreut, mich auf einen Fehler hinzuweisen. Er hat den ganzen Rückweg auf mich eingeschimpft.«
    Ratwatte fährt fort: »Die Jungs hätten dem Fluglotsen nur sagen müssen: ›Wir haben nicht mehr genug Treibstoff für das, was ihr mit uns vorhabt.‹ Sie mussten nur sagen: ›Das geht nicht, wir müssen innerhalb der nächsten zehn Minuten landen.‹ Aber das haben sie dem Fluglotsen nicht vermitteln können.«
    Ratwatte drückte sich offensichtlich sehr vorsichtig aus, denn er deutete eine dieser kulturellen Stereotypen an, die uns oft unangenehm berühren. Doch das, was in der Avianca-Maschine vorging, war so seltsam, dass es nicht ausreichte zu sagen, Klotz sei inkompetent und der Kapitän übermüdet gewesen. Im Cockpit ging noch etwas anderes und sehr viel Grundsätzlicheres vor. Könnte es sein, dass die Herkunft der Piloten etwas mit dem Absturz zu tun hatte? »Amerikanische Piloten würde sich das jedenfalls nicht gefallen lassen«, meint Ratwatte. »Die würden sagen: ›Hör zu, mein Freund, ich muss landen.‹«
    10.
    In den Sechziger- und Siebzigerjahren führte der niederländische Psychologe Geert Hofstede im Auftrag der Personalabteilung der IBM-Europazentrale zahlreiche Forschungsarbeiten durch. Seine Aufgabe bestand darin, rund um den Globus zu reisen und Menschen zu befragen, wie sie Probleme lösten, wie sie zusammenarbeiteten |181| und wie sie zu Autoritäten standen. Mithilfe seiner ausführlichen und komplexen Fragebögen sammelte er im Laufe der Zeit große Mengen von Daten über verschiedenste Kulturen und deren Unterschiede. Heute gehören Hofstedes »Kulturdimensionen« zu den am weitesten verbreiteten Paradigmen der interkulturellen Psychologie.
    Hofstede erklärte beispielsweise, man könne Kulturen sehr gut daran unterscheiden, inwieweit sie von ihren Angehörigen erwarten, sich um sich selbst zu kümmern, und er differenzierte zwischen eher individualistischen und eher kollektivistischen Kulturen. Das Land mit der am stärksten individualistischen Kultur sind die Vereinigten Staaten. Daher ist es vermutlich kaum verwunderlich,

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