Und nehmen was kommt
gehen regelmäßig arbeiten oder, sofern sie noch klein sind, ohne Murren in die Schule. Reden jetzt slowakisch, haben einen Fernseher und besuchen ihre zurückgebliebenen Verwandten immer seltener.
Will von dort wer weg, sich integrieren, assimilieren, das Zigeunersein lassen, wird das zum Mißvergnügen der meisten Durchschnittsbürger höheren Ortes durchaus gern gesehen, und die Behörden sind solchen Leuten sogar einigermaßen behilflich. Wer aber die Segnungen der sozialistischen Gesellschaft unbedingt ignorieren und weiter primitiv vegetieren will, ist ein geringeres Problem, je mehr er sich abseits hält, nicht auffällt, mit seinesgleichen in den Slums, den Favelas bleibt, die hierzulande cigánska osada heißen. Fährt man im Namen der staatlichen Autorität da hinaus und mahnt Dinge wie die Schulpflicht ein, holt man sich meist eine Abfuhr und großen Ärger, wird gar ausgelacht, wenn man dem Gesetz Nachdruck verleihen will. Wozu sich das antun?
Bald nach dem Krieg, als im Sudentengürtel und in den Sprachinseln die verhaßten Deutschen fast ohne Ausnahme des Landes verwiesen wurden, ganz egal, wie sie zur NS -Herrschaft standen, schickte die tschechoslowakische Regierung in die entvölkerten Gegenden Böhmens und Mährens an der Systemgrenze, in die Zips und die Dörfer rund um Iglau armselige slowakische Zigeuner, damit sie dort in den verlassenen Häusern und Höfen eine günstige Startbasis vorfänden, richtige sozialistische Menschen zu werden, stolze Werktätige, die sich der Gesellschaft gegenüber erkenntlich zeigen würden, daß sie nun, theoretisch wenigstens, ihr Leben nicht länger als Bürger zweiter, dritter Klasse fristen mußten. Das Ergebnis war ernüchternd.
Zwang kommt bei den Roma prinzipiell nicht gut an, die Trennung der Clans und Großfamilien nahm ihnen die gewohnten Sozialstrukturen, von Ackerbau und Viehzucht verstanden die allermeisten nichts, stechuhrpünktlicher, körperlich anstrengender Schichtarbeit in den Kohlegruben, im Tagebau, in den Stahlwerken des tschechischen Nordens wollte sich nur eine Minderheit aussetzen. Ausweise, die sie in den frühen Jahren der CSSR immer und überall herzeigen können mußten, schränkten ihre Bewegungsfreiheit ein, es sollte verhindert werden, daß sie dorthin zurückkehrten, wo sie herkamen, oder sich ansiedelten, wo es ihnen zusagte. Wie in anderen Ländern Ost- und Westeuropas führte man noch in den sechziger Jahren heimlich Sterilisationen bei Frauen und Mädchen durch, zum Besten der Betroffenen natürlich.
Übrigens fehlten nicht nur die Deutschen nach dem Krieg, im besetzten Protektorat Böhmen und Mähren hatten die Nazis neben den Juden die dort seit vielen Jahrhunderten lebenden Sinti und Roma bis auf ein paar hundert alle umgebracht. Die Zigeuner aus dem österreichischen Reichsteil der alten Donaumonarchie waren weit nicht so verarmt und nahezu leibeigen gewesen wie die aus dem ungarischen Herrschaftsbereich, zu dem die Slowakei gehört hatte. Für die meisten Tschechen waren die neuen Roma aus dem für sie fernen Osten der Republik noch viel fremder, primitiver und unangenehmer als die ermordeten heimischen, mit denen man sich, wie überall in Europa, trotz allen Argwohns einigermaßen arrangiert hatte.
Viele Leute aus Monikas ostslowakischer Siedlung haben deshalb seit der Nachkriegszeit Verwandte im tschechischen Teil des Landes. Eines Tages berichtet Mutters Schwester, sie habe durch eine Cousine von einem dort lebenden Mann erfahren, querschnittgelähmt nach einem schlimmen Autounfall, bei dem seine Frau ums Leben kam. Er würde dringend jemand suchen, als Haushälterin, vielleicht zu mehr. Kinder wären kein Hindernis. Der Gelähmte sei Geschäftsmann, habe eine eigene Firma, ein großes Haus.
Die Mutter berät sich mit der Großmutter und sagt schließlich zu. Monika ist bisher noch nie richtig verreist, sie macht sich keinen Begriff davon, was es heißt, sich auf den Weg quer durch die ganze Republik zu machen, bis an die Abhänge des Erzgebirges, bis fast an die deutsche Grenze. Ihre gewohnte Welt reicht bis hinunter zum See, hinüber zur Kolchose, hinauf zum Wald, die holprige, bei Schlechtwetter matschige, bei Schönwetter staubige Siedlungsstraße entlang Richtung Kindergarten, Richtung Provinzstadt.
Der Mann, den niemand kennt hier, schickt ein Auto. Gepäck hat man nur wenig, die drei Kinder sitzen hinten, die Mutter steigt vorne ein. Die kränkliche Großmutter, der wichtigste Mensch in Monikas jungem
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