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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
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zu prügeln, weil er der Mutter so viel angetan hat.
    Ein wirklicher Halt für die Kinder ist jetzt allein die Großmutter. Von Zeit zu Zeit wandert Monika mit ihr zu den Weißen in die Stadt. Eine Stunde, zwei Stunden dauert der Weg, sie weiß es nicht. Scheinbar ewig betteln die beiden vor den Geschäften Leute um Kleingeld an, dann bekommt Monika zuverlässig etwas Süßes gekauft, Bonbons, eine Tafel Schokolade. Sie schauen meist noch bei Omas Freundin, der einzigen weißen Erwachsenen, zu der Monika privat Kontakt hat, in ihrem adretten, weißgetünchten Häuschen am Stadtrand vorbei, das auf die Kleine riesig wirkt. Auch ihr in allen Farben schillernder Gockel mit dem blutroten Kamm wirkt auf Monika riesig, sie geht ihm aus dem Weg, seit ihr Zeigefinger gleich beim ersten Besuch seinem Schnabel in die Quere kam. Eine heftig blutende Wunde war das.
    Der kleine Bruder, ein Jahr jünger als Monika, gerät leider ganz nach dem Vater, hat die Mutter einmal traurig gesagt, als sich in ihrem Kopf noch alles um die Familie drehte. Auseinandersetzungen geht er aus dem Weg, er klammert sich, seit die Mutter ausfällt, umso mehr an die Schwester, fordert Zuwendung, Streicheleinheiten, hat, man muß es zugeben, Charme. Monika ist hin- und hergerissen: Sie fühlt sich als Beschützerin, kein anderes Kind soll den gutmütigen Jaroslav ausnützen, ausspotten, ihm etwas wegnehmen. Aber sie wünscht ihn sich ganz anders, furchtlos, stark, dynamisch.
    Warum ist eigentlich sie ein Mädchen geworden und nicht er? Sie strotzt vor Kraft, ist ein Energiebündel, voller Tatendrang und Temperament, stur, weiß ihren Kopf durchzusetzen. Sie ist das Lieblingskind der Großmutter, der Mutter, das Idol des kleinen Bruders. Sie spielt am liebsten mit den größeren Buben Fußball, und das mit reichlich körperlichem Einsatz und einigem Talent. Sie möchte ein Mann werden, ein richtiger Mann, nicht wie der Vater.
    Da ist noch die große Schwester, aber die fällt komplett aus dem Rahmen. Fremd ist sie vor allem wegen ihrer Schwerfälligkeit, Monika hat nichts gegen sie, sie ist da, wie alles da ist, aber beschützen wie den Bruder würde sie Aurelia nie, das steht fest. Und wäre sie plötzlich nicht mehr da, sie würde ihr, ehrlich gesagt, nicht abgehen.
    Ohne Vorwarnung holt der Vater die Kinder ab, er sagt, er liebe sie, er sagt, mit der Mutter gehe es immer mehr bergab, sie könnten unmöglich länger unter einem Dach mit ihr wohnen. Einige Monate verbringen sie jetzt bei ihm und seiner neuen Frau, nur ein paar Häuser von daheim entfernt. Monika weint viel, bockt, schlägt um sich. Sie will nicht, daß es diesem Weib, das sie verachtet, gut geht mit dem Vater, sie wünscht sich beide weg.
    Mit Jaroslav geht Monika bei jeder Gelegenheit hinunter zum See. Wer wirft Kieselsteine weiter? Wer fängt mit dem Plastikkübel schneller einen kleinen Fisch, wenigstens einen Wasserläufer? Wer traut sich noch Anfang Oktober komplett untertauchen und die Luft anhalten? Keines der kleineren Kinder in der Siedlung kann schwimmen, keines ist andererseits je ertrunken, soviel man weiß. Oben am Hang stehen alte, seit der Vergesellschaftung herrenlose Obstbäume. Monika und Jaroslav klauben Zwetschken, Äpfel und Birnen, essen, bis sie Bauchweh haben. Dahinter, im Wald, spielen sie mit anderen Kindern Verstecken, Räuber und Gendarm, sammeln Pilze, Holz.
    Die Großmutter ist keine alte Frau, noch keine vierzig, aber plötzlich wird sie schwer krank. Dafür ist mit einem Schlag die Mutter geheilt, sie läßt das Saufen sein, zieht nicht mehr herum, kümmert sich von früh bis spät um ihre eigene Mutter und vor allem um sich selbst, sie holt die Kinder zurück. Monika weiß nicht, ob sie sich freuen soll, weil die Mutter wieder die Mutter ist, oder ob sie traurig sein soll, weil die Großmutter sich nicht und nicht erholt.
    Die Mutter geht jetzt nebenbei stundenweise putzen, um ein bißchen Geld zu verdienen. Meist bekommt sie für die Arbeit allerdings nur Lebensmittel, aber immerhin. Monika ist jetzt eigentlich alt genug für die Schule. Aber in die Schule will sie noch weniger als in den Kindergarten. Es ist auch niemand da, der ihr schlüssig erklären würde, worin der Sinn besteht, tagein tagaus eine Schule zu besuchen. Selbst die Mutter hält sich zurück.
    In diesem Land herrscht Schulpflicht, auf dem Papier zumindest. Zigtausende Leute, deren Muttersprache Romanes ist, sind längst brave, brauchbare Bürger, leben anständig in Mietwohnungen,

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