Und nehmen was kommt
Kostüme, aber auch die großen, sentimentalen Beziehungsgeschichten, das von gewissenlosen Schurken bedrohte edle Glück der Liebenden. Seither holen sie immer wieder Nachschub aus dem Laden, dann kuscheln sie spätnachts gemeinsam mit der Katze Steffi im Bett und vergießen die eine oder andere stille Träne, wenn etwa die tapfere Sanvri Devi, die sich mutig gegen Kinderverheiratung und für die Sache der Frauen einsetzt, vor den Augen ihres hilflosen Mannes von den Dorfmachthabern vergewaltigt wird. Indien, sagt Monika, liege ihr gefühlsmäßig näher als Österreich.
Indische und afrikanische Kleidung findet sie schön, überhaupt liebt sie leuchtende Farben und entsprechende Akzente in der gemeinsamen Wohnung, eine Couch in kräftigem Orange etwa oder knallbunte Bilderrahmen. Dafür kommt sie Philipp in anderen Bereichen entgegen, respektiert sein Bedürfnis nach klaren, geradlinigen Möbelstrukturen ohne Schnörkel, obwohl sie es durchaus ein wenig opulenter vertragen könnte.
Besonders um die Weihnachtszeit und zu Ostern finden auch die deutschsprachigen Fernsehanstalten manchmal noch Programmplätze für altmodische tschechische Märchenfilme, die teilweise schon vor einem halben Jahrhundert gedreht worden sind. Monika hat sich inzwischen mehr als ein Dutzend davon aufgenommen, und von Zeit zu Zeit, wenn sie allein ist und die Stimmung paßt, setzt sie sich davor und spricht die Dialoge mit. Herrlich ist das.
Und es gibt Tage, da kommen Monika die beiden letzten Jahre selbst wie ein einziges Märchen vor. Ohne Philipps Einsatz, seine Umsicht, Geduld und bedingungslose Zuneigung, aber auch ohne seinen Ehrgeiz, die Sache gegen alle Wahrscheinlichkeit durchzuziehen, hätte sie sich, da ist sie absolut sicher, dem fatalen Sog kaum mehr entziehen können. Aber es hätte alles nichts genützt ohne diese tief in ihr verwurzelte, zeitweise kräftig überwucherte Rebellion gegen das duldsame Hinnehmen des scheinbar Vorbestimmten, gegen die ungeheure Zumutung, für jemanden mit ihrer Herkunft sei ein selbstbestimmtes Leben einfach nicht vorgesehen. Wir ergänzen uns wirklich perfekt, schwärmt sie, und seit ich gut genug Deutsch dafür spreche, können wir auch wunderbar streiten. Gefallen lasse ich mir jedenfalls nichts. Und nach einer Pause fügt sie leise hinzu: Ich hab ihn sehr sehr gern. Ich liebe ihn.
Wenn es nach ihr ginge, sagt Monika, käme sie locker drei Monate ohne Sex aus, wahrscheinlich auch ein ganzes Jahr. Es trotzdem zu tun, belaste sie nicht, sie kenne auch lange schon keine Orgasmusprobleme mehr, genieße es vielmehr, von ihrem Mann immer noch so begehrt zu werden wie zu Beginn ihrer Beziehung. Eigentlich stimme alles im Bett, es mache sogar Spaß, nur wichtig sei es ihr nicht. Und nachher, wenn es vorbei ist, hat sie manchmal eine unerklärliche Anwandlung, ein bißchen aus der Haut fahren zu wollen.
Zum Autor
Ludwig Laher, geboren 1955 in Linz, studierte Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie in Salzburg, Dr. phil.; lebt in St. Pantaleon (Oberösterreich). Er schreibt Prosa, Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher und Übersetzungen; dazu kommen wissenschaftliche Arbeiten. Mehrere Bücher, bei Haymon: Selbstakt vor der Staffelei. Erzählung (1998), Wolfgang Amadeus junior: Mozart Sohn sein. Roman (1999), Herzfleischentartung. Roman (2001), So also ist das / So That’s What It’s Like. Zweisprachige Anthologie (2002), Aufgeklappt. Roman (2003), Folgen. Roman (2005), Und nehmen was kommt. Roman (2007; 2011 bei HAYMONtb). Ixbeliebige Wahr-Zeichen? Über Schriftsteller-‚Hausorthographien‘ und amtliche Regel-Werke (Studienverlag, 2008). Zuletzt: Einleben. Roman (2009) und Verfahren. Roman (2011, Longlist des Deutschen Buchpreises 2011). www.ludwig-laher.com
Impressum
HAYMO N verlag
Innsbruck-Wien 2011
www.haymonverlag.at
© Haymon Verlag 2007, Innsbruck-Wien
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-85218-899-7
Umschlag- und Buchgestaltung, Satz: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Coverfoto: Albert Grühbaum
Diesen Roman erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger
Weitere Kostenlose Bücher