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Und wir scheitern immer schöner

Titel: Und wir scheitern immer schöner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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‹FIESTA!›
     
     
    Stiertier bin ich. Ein starkes Stück Fleisch mit intensiven Instinkten und Gedanken.
     
    Da wurde ich sommertags im Mutterblut auf eine Wiese gepresst, ohne danach gefragt zu haben, nur weil irgendein geiler Bulle irgendwann meiner Mutter sein Genital auf- und hineinzwängte. Da war ich dann und Zufriedenheit erst mal meine Kindheit. Gras essen, Wasser trinken, Sonne genießen. Südspanien ist wunderschön zu jeder Jahreszeit. Ich war ein glückliches, verspieltes kleines Tier.
     
    In der Nähe dieses Gebirges, das Spanien von Portugal trennt, waren unsere Wiesen, und wir waren viele. Sehr viele. Vielleicht könnten wir eines Tages die Welt beherrschen, dachte ich immer zwischendurch. Eigentlich taten wir das ja, denn unsere Welt reichte von unserem Standpunkt aus nur bis dahin, wohin wir blicken konnten. Auch der Horizont war unser und das Rote am Himmel und sowieso alle Sterne, die man nachts bewundern kann. Aber da waren auch immer Zweifel, ob das, was wir sehen, alles war. Oder war da doch mehr, jenseits der Weite unserer Blicke?
     
    Die Kindheit also froh verbracht im Mutterschatten und alles, was wir hatten, war gut und natürlich und lebenswert. Dann erkannte ich Menschen. Menschen verstand ich nie. Menschen, die am Wiesenrand standen und uns beim Spielen zuschauten. Sie standen nur da und bewunderten unsere Macht und Stärke, die die jungen Tiere präsentierten und die positive Arroganz und Erhabenheit unserer Väter und Mütter. Wir waren unantastbar, bis ...
     
    ... ich bemerkte, dass diese Menschen hin und wieder unsere Wiese betraten. Nicht allein, sondern meistens gleich rudelweise stürmten sie unsere Grasfläche und gingen zielstrebig auf junge Genossen los. Schossen mit Rohren nach ihnen und wenn sie trafen, wurden die Genossen müde und legten sich irgendwann in die Sonne zum Schlafen. Dann zerrten die Menschen die Jungtiere an den Hörnern nach draußen, hinter den Zaun, wo sie sonst immer standen und nur schauten. Seltsam, diese Menschen.
     
    Wenn die Genossen dann außerhalb des Zaunes zum Liegen kamen, kam etwas Lautes. Es war groß und von merkwürdiger Gestalt. Länger als hoch und laut und stinkend. Vorne drin saßen meist zwei Menschen, die blöd lachten. Hinten war ein großes Loch, in das sie die müden Genossen schafften, und dann machte sich dieses laute Ding auf den Weg Richtung Horizont und verschwand irgendwann ganz. Ich begriff, dass Welt Beherrschen eventuell doch schwierig war, erstens, weil die Menschen das vielleicht auch wollten, und zweitens, weil es hinter dem von mir erschlossenen Universum noch mehr zu geben schien als das, was ich mit meinem verfickten Rindergehirn zu begreifen imstande war.
     
    Drauf geschissen, dachte ich zunächst und lebte mein Leben unbeschwert weiter, um nicht traurig zu werden. Die abgeholten und in dem seltsamen Hohlraum verschleppten Genossen bekam ich nie wieder zu Gesicht. Niemand von uns sah sie je wieder und es gab die wüstesten Theorien auf der Wiese, wo man sie wohl hinbrachte und was aus ihnen wurde.
     
    Einige glaubten, die Verschleppten würden zu Gottheiten erhoben und kämen auf andere Weiden mit grünerem Gras. Meines Erachtens wurden aber zu viele und zu oft welche abgeholt, um diese Theorie als stimmig erscheinen zu lassen. Gottheiten sind doch was Besonderes, aber auch Idioten wie Sergio wurden müde geschossen und verschleppt ... und dieser blöd sabbernde Bulle eignete sich wohl kaum als anbetungswürdiges Tier. Andere Genossen meinten, die Menschen seien unsere Götter und machten uns zu Opfern. Das Ganze sollte nur verhindern, dass wir zu viele wurden, irgendwann auch nach Macht strebten und die Menschengötter außerhalb der Zäune überrannten. Andere hatten gar keine Meinung und das waren immer die fröhlichsten Jungtiere auf unserer Wiese.
     
    Ich hingegen hatte deswegen viele Krisen, weil ich mir auf die Menschen keinen Reim machen konnte. Sie kamen, holten ab und verschwanden Richtung Horizont, wo manchmal noch Lichter aufblinkten. Vielleicht sollte es einfach nicht meine Welt sein, sich so sehr zu sorgen, aber diese Gedanken kamen immer wieder. Häufig dachte ich sie auch gedankenlos, also ohne irgendeinen Anlass. Die Denkmuster kamen einfach, eroberten meinen Kopf und richteten Unruhe an. Dann rannte ich eine Weile von Zaun zu Zaun zu Zaun zu Zaun, um diese Gedanken wegzumachen. Ich konzentrierte mich dann nur aufs Rennen und nicht auf irgendwas in meinem Kopf, was ich nicht begreifen

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